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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Kaninchenfleisch, knetete es mit Fett zu einer festen Masse, fügte getrocknete Heidelbeeren dazu und würzte mit Salz und wildem Thymian. Er teilte sie in kleine Portionen auf und rollte diese zu Würstchen, die er in der Nähe des Feuers trocknete. Haltbare Überlebensnahrung für Wochen.
    Fast jeden Tag hörte er jetzt Schüsse und Hunde, manchmal in großer Distanz, dann wiederum ganz in der Nähe. Die Jäger waren unberechenbar. Nie konnte er sich ganz darauf verlassen, daß sie ihn in Ruhe ließen. Sie schränkten seine Bewegungsfreiheit ein. Sie bestimmten seinen Tagesablauf. Sie nötigten ihn, sich zu Zeiten versteckt zu halten, in denen er normalerweise Pilze oder Waldfrüchte gesucht hätte. Sie zwangen ihn, mit toten Kaninchen falsche Fährten zu legen, um die Hunde von seinem Versteck fernzuhalten.
    Die Jäger zwangen ihn, sich mit der anderen Wirklichkeit zu beschäftigen. Sie drangen in das Universum ein, das nur aus ihm bestand, und waren eine Gefahr für die dünne Hülle, die die Welt und ihn selbst vor ihm schützte. Vor allem dafür haßte er sie jeden Tag mehr.
    Dann erwischte er einen von ihnen.
    Er hatte schon in der Morgendämmerung weit unten einen Schuß gehört und danach das sich überschlagende Kläffen eines Schweißhundes auf der Fährte. Als er sicher war, daß der Hund in seine Richtung kam, verließ er sein Versteck. Er ertrug die Vorstellung nicht, einen weiteren Tag auf seinen vierzig Quadratmetern Lichtung absitzen zu müssen.
    Blank kletterte die steile Flanke des Waldes hinauf. Er kam schnell voran. Er kannte den Weg. Und die letzten Monate hatten ihm zu einer guten Kondition verholfen.
    Bald war das Hundegebell nur noch ein fernes Echo. In einer Stunde würde er den Kamm erreichen. Dort gab es eine Windlichtung, an deren Rand er einen Steinpilzplatz wußte. Bei seinem letzten Besuch dort hatte er drei größere Pilze mitgenommen und den Nachwuchs für später stehenlassen.
    Wenige Meter vor dem Pilzplatz sah er ihn. Ein dicklicher Mann. Er trug eine grüne Kommandohose, eine passende Windjacke mit vielen Taschen, einen Rucksack und einen Jägerhut mit kleinen Federn im Hutband. Über der rechten Schulter hatte er eine Bockbüchse hängen. Ein braunweißer Laufhund begleitete ihn.
    Blank legte sich flach auf den Boden, wie immer, wenn er im Wald auf Menschen traf. Er sah dem Jäger nach, bis er hinter der Kuppe verschwand, stand auf und ging zu seinem Pilzplatz.
    Dort, wo die Steinpilze wuchsen, war die Erde frisch aufgewühlt. Es fehlten nicht nur die Exemplare, die inzwischen groß genug sein mußten. Auch der ganze Nachwuchs, die Embryonen, deren braune Hüte der Humus noch verdeckt hatte, waren mit einem Stock ausgebuddelt. Alles, was Blank fand, war ein Stück eines älteren Hutes, das von einer Schnecke angefressen war. Der Frevler hatte es abgebrochen. Die Bruchstelle war noch frisch.
    Blank marschierte los. Er rannte nicht, er ging mit großen Schritten, aufrecht und entschlossen, wie ein Mann, der jemanden zur Rede stellen will.
    Nach kurzer Zeit sah er den Jäger. Er hatte die Lichtung beinahe überquert und ging gemächlich auf die Fichten zu, die den Felsabbruch auf der nördlichen Kammseite säumten. Blank hatte ihn bald eingeholt.
    Der Hund bemerkte Blank zuerst. Er ging ein paar Schritte geduckt auf ihn zu und bellte. Blank kümmerte sich nicht um ihn. Der Jäger drehte sich um, sah Blank und rief: »Bella!« Die Hündin hörte auf zu bellen.
    Blank ging geradewegs auf den Mann zu. »Geben Sie die Pilze her.«
    Der Mann mochte etwas über vierzig sein. Er schaute ihn verständnislos an.
    Blank streckte die Hand aus. »Rucksack.«
    Die Hündin fing wieder an zu bellen. »Down!« befahl Blank. Sofort legte sie sich nieder.
    »Steinpilze sind nicht geschützt«, protestierte der Jäger, als er den Rucksack übergab.
    Blank öffnete ihn und roch die frischen Steinpilze. Sie waren in ein Taschentuch gebunden, das er jetzt herausnahm und auf den Boden legte. »Jagdschein«, befahl Blank.
    Der Jäger fingerte einen Ausweis aus seiner Jacke und streckte ihn Blank entgegen. Er war brandneu. Ausgestellt auf Dr. jur. Lorenzo Brunner.
    Blank gab dem eingeschüchterten Kollegen Ausweis und Rucksack zurück.
    »Danke«, sagte der. »Und jetzt?«
    »Mitkommen.«
    Der Mann stolperte beflissen neben Blank durch die verwachsenen Fichten. Bella tänzelte um sie herum. »Falls ich da etwas übersehen haben sollte mit den Steinpilzen, tut mir das leid. Ich dachte wirklich…«
    Sie

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