Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)
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gepflegt hatte ihn allerdings niemand.
Hackenholt und Wünnenberg gingen
zum Häuschen hinüber. Im Nachhinein wurde beiden klar, dass sie darauf gehofft
hatten, Jonas hier vorzufinden. Vielleicht an einem Tisch sitzend, in ein Buch
vertieft. Doch die Laube war leer, wie ein kurzer Blick durch das Fenster
zeigte. Oder vielmehr: Es befand sich kein Mensch darin, aber leer im Sinne von ausgeräumt war sie auch
nicht.
Hackenholt holte ein Päckchen
Einweghandschuhe aus seiner Hosentasche und ging, nachdem er sie übergestreift
hatte, zur Flügeltür. Sie war unverschlossen. Sobald er den Raum betreten
hatte, blieb er wie angewurzelt stehen. Auf dem hellen Linoleum-Bodenbelag
führten eingetrocknete, zum Teil verwischte Blutstropfen zum Eingang, genau auf
ihn zu. Er machte Wünnenberg ein Zeichen, draußen zu bleiben.
Langsam sah er sich im Raum um.
Ein aufgeklappter Tapeziertisch nahm die gesamte Länge der gegenüberliegenden
Wand ein. Auf ihm standen zwei ausgebrannte Teelichter, außerdem wies er einige
dunkle Brandflecken auf. Unter dem Tisch lagen mehrere große blaue
Plastikmüllsäcke und einige Supermarkttüten, nicht weit davon entfernt ein
Schlafsack. Der Boden war übersät mit Zigarettenkippen. Hackenholt ging hinüber
und schaute in die bunten Einkaufstaschen. Eine war mit dreckigen Klamotten
vollgestopft, die andere enthielt leere Pfandflaschen, in der dritten lagen ein
paar Dosen mit billigem Bier. Zu seinem Erstaunen fand Hackenholt in den blauen
Müllsäcken mehrere leere Kanister Gebäudereiniger.
Als er den alten, stockfleckigen
Schlafsack hochhob, kam darunter ein prall gefüllter dunkelgrüner Rucksack zum
Vorschein. Er enthielt ebenso Wäsche, allerdings sahen auch diese
Kleidungsstücke nicht nach dem aus, was ein Jugendlicher gemeinhin trug. In der
linken Seitentasche des Rucksacks fand Hackenholt ein Päckchen Tabak und
Zigarettenpapier für Selbstgedrehte, in der anderen eine Nagelschere und ein
Stück Seife, daneben ein abgegriffenes Portemonnaie. Der Hauptkommissar öffnete
es. Statt Geldscheinen fand er im größten Fach zwei Fotografien. Die erste war
ein altes, zusammengefaltetes Hochzeitsfoto, die andere zeigte zwei lachende
Frauen, vielleicht Mutter und Tochter, vor einem Kirschbaum. Der Geldbeutel
enthielt auch einen Ausweis und eine abgelaufene Krankenversicherungskarte.
Beides war auf den Namen Dr. Heinrich Gruber ausgestellt.
Es dauerte fast eine Stunde,
bis die Spurensicherung endlich eintraf. Hackenholt und Wünnenberg warteten
solange im Auto. Während der ebenfalls angeforderte Schlosser den
Schließzylinder der Toreinfahrt ausbaute, informierte der Hauptkommissar
Christine Mur, was sie hinter der Einfahrt erwartete.
»Und du bist einfach so durch
die Hütte gelaufen? Ohne Überschuhe? Ohne Schutzkleidung?«, fragte sie
naserümpfend.
Hackenholt setzte schon zu einer
unsachlichen Antwort an, beherrschte sich dann aber im letzten Moment und
erklärte, dass er immerhin Handschuhe getragen habe.
»Den Geräteschuppen daneben
haben wir aber völlig unberührt gelassen«, fügte Wünnenberg in unschuldigem
Tonfall hinzu. »Du solltest nur aufpassen, dass er nicht über dir einstürzt,
wenn du ihn untersuchst, Christine.«
Mur warf ihm einen bösen Blick
zu und beschloss, ihm keinen weiteren Schluck Kaffee aus ihrer Thermoskanne zu
gönnen.
Hackenholt sah auf die Uhr. Drei
viertel drei. »Wir sollten dann mal wieder los«, seufzte er. »Es ist mir dieses
Mal besonders wichtig, schnell zu erfahren, was die Spurenlage hergibt. Ob es
einen Kampf gab, von wem das Blut stammt, ob Heinrich Gruber hier bewusstlos geschlagen
wurde oder jemand anderes et cetera. Und natürlich, ob es irgendwelche Hinweise
darauf gibt, dass Jonas etwas damit zu tun hat beziehungsweise er überhaupt
hier war. Aber das weißt du ja alles selbst.«
»Wie sieht es mit
Vergleichsspuren von dem Jungen aus?«, fragte Mur. »Hast du schon welche?«
Hackenholt schüttelte den Kopf.
»Dann muss jemand zu den Eltern
fahren und dort welche erheben.«
»Wir werden jetzt erst einmal
den Großvater im Heim besuchen. Er scheint die Bezugsperson für Jonas zu sein,
die ihm am meisten bedeutet. Hoffentlich auch nach dem Schlaganfall. Außerdem
müssen wir ein für alle Mal klären, wem der Schrebergarten nun eigentlich
gehört, nachdem die Petzolds ihn gekündigt haben wollen. Ansonsten bleibt uns
nichts anderes übrig, als morgen bei der Stadt Nürnberg nachzufragen.«
»Warum machst du das nicht
gleich?
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