Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)
winkte ab. Dann sah sie ihm im Spiegel fest in
die Augen. »Frank, wir brauchen dich. In den letzten drei Tagen ist uns das
allen mehr als schmerzlich bewusst geworden. Nichts ist mehr rund gelaufen seit
deinem Unfall. Jeder hat jeden angemeckert, die Stimmung war im Keller.« Sie
wurde rot. Offenbar dachte sie daran, wie wenig sie selbst zum reibungslosen
Ablauf beigetragen hatte. Schließlich räusperte sie sich. »Ich muss wieder
rein. Puellen sagt, du sollst dich in sein Büro setzen und die Beine hochlegen.
In der Thermoskanne ist Pfefferminztee.« Sie verzog das Gesicht. »Ich bin mir
allerdings nicht sicher, ob einem davon nicht eher noch schlechter wird.«
Eine Dreiviertelstunde später
war die Obduktion abgeschlossen. Dr. Puellen und Christine Mur betraten
gemeinsam das kleine Kabuff, das als Büro diente. Hackenholt hatte die düsteren
Gedanken mittlerweile weitgehend beiseitegeschoben und eine Liste der nun
folgenden Schritte zusammengestellt.
Der Mediziner ging zu einem Bord
mit Tassen, drehte sich um und sah Mur fragend an. Entschieden schüttelte sie
den Kopf, also schenkte er nur sich einen Becher Tee ein, den er in einem Zug
austrank. Dann fasste er das Ergebnis der Autopsie zusammen: »Der Junge wurde
totgeprügelt. Ein oder zwei Tage später haben die Täter ihn zerstückelt, jedes
Teil in Folie gewickelt und einzementiert. Die Art und Weise, wie die
Gliedmaßen und der Kopf abgetrennt wurden, lässt darauf schließen, dass es sich
bei den Tätern nicht um Profis handelt. Sie haben immer mehrmals mit den
Werkzeugen angesetzt. Es gibt nicht einen einzigen glatten Schnitt. Offenbar
hat es sie überrascht, wie schwer es ist, einen Menschen zu zerstückeln. Oder
sie hatten nicht genügend Kraft, wobei dafür zugegebenermaßen eine ordentliche
Portion vonnöten ist. Und Entschlossenheit; die braucht man auch.«
Mit der Autopsie waren die
Schrecken des Tages aber noch nicht vorüber. Im Präsidium bat Hackenholt den
diensttuenden Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams zu sich in die
Dienststelle und informierte während der Wartezeit den am Wochenende
zuständigen Jour-Staatsanwalt und den Kollegen von der Pressestelle über die
Ergebnisse der Obduktion. Ein solcher Fall schaffte es im Sommerloch spielend
in die überregionalen Nachrichten. Hackenholt graute es schon vor dem unter
Garantie bald einsetzenden Medienrummel, den er auch dieses Mal gerne in die
routinierten Hände eines Pressesprechers legen würde.
Sobald der Notfallseelsorger
instruiert war, machten sie sich auf den Weg nach Röthenbach an der Pegnitz, um
den Eltern die schockierende Nachricht vom Tod ihres Sohns zu überbringen.
Jonas’ Mutter brach zusammen. Sie musste notärztlich versorgt und vom
Rettungsdienst in die Klinik gebracht werden. Auch dies waren Szenen, die
Hackenholt so schnell nicht mehr aus seinem Gedächtnis bekam.
Nachdem all das erledigt war,
fühlte auch er sich wieder krankenhausreif. Sein Kopf drohte zu zerspringen,
ihm war schlecht, und immer wieder suchten ihn Schwindelanfälle heim. Er rief
kurz im Büro an, um Stellfeldt zu sagen, dass er beim besten Willen nicht mehr
ins Präsidium kommen könne, dann fuhr er nach Hause, legte sich wie er war aufs
Bett und war innerhalb von Minuten eingeschlafen.
Sophie, die am Abend gut gelaunt
von verschiedenen Konzerten des Bardentreffens heimkam, fand ihn in voller
Montur auf dem Bett liegend. So tief und fest, wie er schlief, brachte sie es
nicht übers Herz, ihn zu wecken, damit er zumindest Hemd und Hose auszog.
Sonntag
Der Sonntagvormittag dümpelte mit Routinearbeiten vor sich hin,
die zwar die Mitarbeiter des Kommissariats beschäftigten, jedoch keine
unmittelbaren Erfolge hervorbrachten. Erst am Nachmittag kam völlig
unvermittelt wieder Schwung in die Ermittlungen. Hackenholt und Stellfeldt
waren gerade dabei, die aus der Bevölkerung eingegangenen Hinweise auszuwerten,
als Hackenholts Mobiltelefon klingelte. Es war Sara. Sie brüllte gegen den Lärm
an, der um sie herum herrschte, und trotzdem musste sie jeden Satz zweimal
wiederholen, damit Hackenholt sie auch nur halbwegs verstand.
Sie war im Rahmen des
Bardentreffens in der Katharinenruine gewesen, um Emily Smith, eine umjubelte
Newcomerin der schottischen Folkszene, zu sehen. Nach dem Konzert war sie mit
ihrer Freundin zum Lorenzer Platz gebummelt, um zu hören, was dort los war. In
der Menge dicht an dicht gedrängt stehender Menschen glaubte sie plötzlich, die
beiden Jugendlichen wiedererkannt zu
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