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Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Titel: Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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vorstellen, was da im Dorf losgewesen ist.«
    »Nämlich?«
    »Ich habe mit dem Lehrer telefoniert, der ebenfalls mit der Dimitrova gesprochen hat. Er ist sein fünfundzwanzig Jahren pensioniert und hat mir mindestens eine Stunde lang sein Leben erzählt, ehe er meine Fragen beantwortete. Ich glaube, er hat nicht oft Gelegenheit, mit jemandem zu sprechen, und wenn er jemanden zu fassen bekommt, lässt er so schnell nicht los.«
    »Vor allem wenn es ein Polizist ist – dein Freund und Helfer«, grinste Mistral.
    Calderone trank seinen Kaffeebecher leer.
    »Also, die Dimitrova hat wirklich gut gearbeitet«, begann er seinen Bericht. »Sie war ein echter Profi. Sie hat die Gemeindesekretärin eingewickelt und ihr unter dem Vorwand, sie wolle eine Reportage über das Dorfleben machen, die Kontaktdaten aller Pensionäre entlockt. Die ehemaligen Lehrer, Rathausbediensteten und Geschäftsleute – alle waren sie dabei. Auf diese Weise kam sie in Kontakt mit dem alten Lehrer.«
    »Für uns war es leichter. Wir hatten die Anruflisten.«
    »Ja, sie erleichtert uns tatsächlich postum die Arbeit. Ihre Fragen konzentrierten sich sehr schnell auf eine einzige Person: auf Odile Brial. Nachdem sie sich mit dem halben Dorf angefreundet hatte, bekam sie rasch die Antworten, die sie wollte. Der Lehrer hat mir erzählt, dass die Alten sich im Café des Dorfes versammelten, um über die Dimitrova zu reden.«
    »Und Odile Brial hat nichts davon bemerkt?«
    »Ja und nein. Ja, weil die Dimitrova sich mit ihr verabredete, und nein, weil die Leute im Dorf sie nicht leiden können und sich hüteten, ihr etwas zu sagen.«
    »Da muss ja richtig was los gewesen sein. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie das ganze Dorf in Aufruhr geriet. Die Dimitrova hat die Leute wahrscheinlich aus ihrer Lethargie gerissen.«
    »Genau das. Odile tauchte Mitte der sechziger Jahre mit einem Säugling von ein oder zwei Monaten im Dorf auf. Ohne Mann. Niemand wusste, woher sie kam und warum sie sich ausgerechnet dieses Dorf ausgesucht hatte. Für die Ansässigen war es zumindest sehr verwunderlich. Natürlich geriet sie bald in Konflikt mit der Engstirnigkeit der Bewohner, die sie die ›Fremde‹ nannten, weil sie weder aus der Gegend noch aus der näheren Umgebung stammte. Arbeit fand sie im Nachbardorf. Sie lehnte es ab, mit den Dörflern zu verkehren, die sie als ›Bauerntrampel‹ bezeichnete.«
    »Reizend.«
    »Das ist noch nicht alles. Die Feindschaft nahm noch zu, als die Bauerntrampel bemerkten, dass sie Männer bei sich übernachten ließ – und zwar fast immer verschiedene. Sie können sich sicher vorstellen, welchen Ruf sie im Dorf hatte. Außerdem scheint es, als habe sie sich den Zorn der männlichen Bevölkerung zugezogen. Offenbar haben einige von ihnen versucht, bei ihr zu landen, aber einen Korb erhalten.«
    »Kein Wunder, dass Odile Brial nichts mit ihnen zu tun haben wollte. Ein solcher Groll kann einem das ganze Leben vergällen. Und das in den sechziger Jahren! Klingt eher nach 19. Jahrhundert.«
    »Jedenfalls war es nicht leicht – weder für sie noch für das Kind, das später in die Dorfschule ging. Bei den Recherchen der Dimitrova ging es tatsächlich in der Hauptsache um das Kind. Dem Dorfklatsch schenkte sie keine Bedeutung. Der Kleine hieß François. Die Mutter war so gestört, dass sie niemals Fotos von ihm zuließ. Jedes Jahr wenn der Schulfotograf kam, fehlte François Brial.«
    »Gibt es dafür eine Erklärung?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Die Kinder, die von ihren Eltern am Umgang mit dem Kleinen gehindert wurden, versuchten natürlich, den Jungen auszuhorchen. Seine Mutter, die ebenfalls jedem Kontakt aus dem Weg ging, nahm ihn später von der Schule und meldete ihn zu einem Fernlehrgang an. Von da an lernte François zu Hause – zum großen Leidwesen des Lehrers, der ihn als lebhaft und intelligent beschreibt. Der Junge wuchs, ständig blockiert von seiner Mutter, heran und geriet auf die schiefe Bahn. Er machte die Bekanntschaft von Taugenichtsen, klaute Mofas und fing an zu kiffen – kurz, er wurde laut dem Lehrer zum bösen Buben des Dorfes.«
    »Und was ist aus ihm geworden?«
    »Eines Abends wurde der Notarzt gerufen, weil das Gesicht des jungen Mannes völlig zerschnitten worden war und er zu verbluten drohte. Wer das verbrochen hatte und warum es passierte, wurde nie geklärt. Nach ein paar Wochen kam er wieder nach Hause und hat sich in seinen vier Wänden vergraben. Nur ab und zu bekam ihn jemand zu Gesicht

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