Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
auf exakt die gleiche Art eingeklebt worden.
Stumm starrten die beiden Polizisten auf die Bilder und versuchten zu begreifen, was sie da entdeckt hatten.
»Was sagt Viviane Brial über dieses Album?«, fragte Mistral.
»Genaugenommen gar nichts. Als sie sah, dass ich mich dafür interessierte, ist sie aggressiv geworden und hat mir erklärt, es handele sich um Fotos ihres Neffen François, dem Sohn von Odile.«
»Sehr merkwürdig«, wunderte sich Mistral. »Hat sie keine Fotos von ihrem eigenen Sohn?«
»Nicht in ihrer Wohnung. Angeblich soll Jean-Pierre sie alle mitgenommen haben.«
»Hatte sie noch irgendeine andere Erklärung parat?«
»Die Dame ist ziemlich giftig und weigert sich, Aussagen zu machen.«
»Ich habe den Eindruck, dass hier eine interessante Schachpartie auf uns zukommt. Nur dass wir in diesem Fall die Damen mattsetzen müssen. Die Schwester reagiert nämlich ganz genau so.«
Mistrals Sekretärin betrat das Büro.
»Ich habe einen Monsieur Thévenot am Apparat«, sagte sie leise zu ihrem Chef. »Er behauptet, Sie zu kennen. Soll ich das Gespräch durchstellen?«
»Nein, warten Sie, ich nehme es in Ihrem Büro an.«
Der Psychiater schien guter Laune zu sein.
»Ich habe auf gut Glück angerufen. Ich sitze in einem Café an der Place Saint-Michel. Können Sie kommen?«
»Nett, dass Sie an mich gedacht haben, aber im Augenblick ist es leider unmöglich.«
Mistral überlegte kurz und blickte auf die Uhr. Es war halb fünf.
»Stattdessen würde ich Sie gern bitten, zu uns in Präsidium zu kommen, wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben. Ich würde Ihnen gern ein paar Dokumente zeigen, die uns zugegebenermaßen verwirren.«
Mistrals ernster Ton machte den Psychiater neugierig. Er zögerte nicht lang.
»Ich bin in zwei Minuten bei Ihnen.«
33
A M GLEICHEN T AG
Der diensthabende Chef der Wache des 9. Arrondissements und seine beiden jungen Kollegen lauschten aufmerksam an der Tür von Olivier Émerys Wohnung. Doch drinnen herrschte absolute Stille. Als sie kehrtmachten und die Treppe hinuntergingen, trafen sie auf Henri Lestrade, den Nachbarn, der sich wegen Ruhestörung beschwert hatte. Seine Frau stand direkt hinter ihm.
»Ich habe Sie klingeln und klopfen hören.«
Henri Lestrade sprach mit gedämpfter Stimme, als fürchte er, dass Émery plötzlich aus dem Nichts auftauchen könne.
»Haben Sie mitbekommen, wie er fortging?«, fragte der Polizist.
»Nach unserem Gespräch ist er nur noch ein einziges Mal morgens seilgesprungen, danach aber nie mehr.«
Lestrades Frau mischte sich ein:
»Ich finde es unsäglich, wenn jemand so rücksichtslos ist. Dabei wohnen wir in einem kleinen Mietshaus, wo alle ...«
»Wann haben Sie ihn springen hören?«, unterbrach der Polizist. »Gestern?«
»Nein, es ist sicher schon vier oder fünf Tage her«, sagte Lestrade und blickte seine Frau Zustimmung heischend an.
»Und seither?«
»Nichts. Außer der Morgengymnastik haben wir nie etwas aus seiner Wohnung gehört. Ansonsten ist er ausgesprochen diskret.«
»Ich lasse Ihnen meine Karte da. Falls Monsieur Émery zurückkommt, rufen Sie mich bitte sofort an. Einverstanden?«
»Sie können auf mich zählen.«
Nachdem sie das Haus verlassen und dabei kontrolliert hatten, dass Émerys Briefkasten leer war, hielten die drei Beamten Kriegsrat.
»Was sollen wir tun? Die Tür aufbrechen? Wer weiß, vielleicht ist er tot!«
»Wenn er seit vier oder fünf Tagen tot wäre, hätte man es im Treppenhaus gerochen.«
»Stimmt. Aber irgendetwas stimmt da nicht. Wir können die Sache nicht auf sich beruhen lassen.«
Mistral zog es vor, die für Dienstag vorgesehene Stimmenanalyse abzusagen. Die Vernehmung der Schwestern Brial hatte jetzt Vorrang.
»Zu Beginn lassen wir es langsam angehen«, erklärte Calderone. »Erst heute Abend oder morgen früh gehen wir aufs Ganze. Aber bis dahin haben wir eine Vorstellung davon, wie sie ticken.«
Die beiden Schwestern saßen in zwei Büros in unterschiedlichen Stockwerken. So wollte man verhindern, das sie einander zu Gesicht bekamen. Viviane Brial maß Gérard Galtier, den Chef des Verstärkungsteams, mit eisigen Blicken. Auf zur ersten Runde , dachte er.
Odile Brial, inzwischen wieder völlig nüchtern, saß dem Mann gegenüber, den sie nach wie vor den Seminaristen nannte. Sie litt unter Tabak- und Alkoholentzug, versuchte es aber vor dem Beamten zu verbergen. Es wurmte sie, dass die Polizisten sie ausgetrickst hatten. Dalmate legte keinerlei Hast an den Ta
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