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Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Titel: Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Es war überwältigend. Um acht Uhr hörte die Alte auf zu reden. Ich habe fünfzehn Seiten Protokoll ausgedruckt. Sie hat sie Wort für Wort durchgelesen, mich hier und da etwas ändern lassen, sich über einige Rechtschreibfehler aufgeregt, die ich gleich verbessert habe, und schließlich ihre Unterschrift daruntergesetzt. Auch Mistral und ich haben das Protokoll unterzeichnet. Dann brachte ich Odile Brial in ihre Zelle zurück. Sie wirkte leer und ausgelaugt und sprach mich nicht ein einziges Mal an. Galtier wartete bereits auf mich. Viviane Brial war im gleichen Zustand wie ihre Schwester. Total am Ende. ›Wir können sie jetzt zusammen unterbringen‹, sagte Galtier. ›Mistral meint, dass es vorbei ist.‹ Erst da habe ich erfahren, dass er die ganze Zeit mit Galtier und Calderone in Verbindung stand.«
    Mistral war wieder in seinem Büro. Schweigend lasen Calderone und Thévenot die Vernehmungsprotokolle der Schwestern Brial. Auf dem Schreibtisch klebte ein Post-it von Calderone. »Die Polizei von Pontoise hat Jean-Pierre Brial verhaftet. Er wollte gerade mit einer Reisetasche sein Haus verlassen.«
    Mistral rief Clara an. Sie redeten lange. Ludovic beendete das Gespräch mit den Sätzen: »Es ist vorüber. Ich kümmere mich noch um den Rest. Alles ist in bester Ordnung. Heute Abend komme ich nach Hause.«
    Mistrals Adrenalinspiegel war inzwischen so weit abgesunken, dass alle Energie aus seinem Körper geschwunden war. Er saß einfach nur noch da und brachte es nicht mehr fertig, aufzustehen. Alles um ihn herum drehte sich. Thévenot war dabei, sich etwas zu notieren, wobei er die Vernehmungsprotokolle der beiden Schwestern zurate zog. Calderone und Galtier telefonierten. Stimmengewirr. Polizisten kamen und gingen und unterhielten sich dabei laut. Stimmengewirr. Mistral bewegte sich nicht. Der Lärm ringsum prallte an ihm ab. Völlig erschöpft schien er in einer Art Wattekugel zu schweben. Calderone warf ihm dann und wann einen besorgten Blick zu. Es beunruhigte ihn, seinen Chef völlig reglos und mit leerem Blick dasitzen zu sehen.
    Schließlich stürmte Bernard Balmes wie eine Rakete ins Büro. Mistral erwachte aus seiner Starre und sah amüsiert zu, wie sein Boss sich in einen der Besuchersessel fallen ließ.
    »Hut ab! Tor durch Kopfball. Und das in der letzten Minute der Verlängerung und zudem bei der Weltmeisterschaft. Den Ausgleich hätte ich dir zugetraut, aber gleich die Trophäe? Erzähl mal. Oder brauchst du vorher einen Kaffee?«
    Mistral seufzte.
    »Lieber nicht. Ich habe innerhalb von vierundzwanzig Stunden mindestens zwanzig Kaffee getrunken; trotzdem werde ich ständig müder. Der nächste würde mich vermutlich in Tiefschlaf versetzen. Die Geschichte der Schwestern Brial ist die einer Beziehung zwischen Herrin und Sklavin. Viviane, die Ältere, hat Odile immer dominiert. Viviane war verheiratet, erfuhr aber schon sehr bald, dass sie niemals Kinder haben könnte. Der Wunsch nach einem Kind wurde schnell zu einer Besessenheit. Viviane warf ihren Mann hinaus und verbot Odile, je zu heiraten oder Kinder zu bekommen. Odile gehorchte zwar gezwungenermaßen, lebte aber ein sehr viel lockereres Leben als ihre Schwester. Mit zwanzig wurde sie schwanger. Viviane litt wie ein Tier. Als sie jedoch erfuhr, dass ihre Schwester Zwillinge erwartete, verlangte sie eines der Kinder für sich.«
    »Als wäre es ein Wurf junger Kätzchen«, warf Balmes ein.
    Thévenot, Calderone und Mistral lachten.
    »So ungefähr. Odile kam zu Hause nieder und meldete nur die Geburt eines Sohnes. Wenige Monate später ließ sie sich in Andreville nieder. Die Schwester hatte alles vorgeplant. Auch Viviane zog um, meldete drei Wochen später die Geburt eines Kindes in irgendeinem Rathaus und zog dann weiter in ein anderes Dorf.«
    »Wie ist denn so etwas möglich?«
    »Wir befinden uns im Frankreich der sechziger Jahre. Damals gab es noch viele Hausgeburten und keine elektronische Datenverarbeitung. Odile verfiel in eine tiefe Depression, die jahrelang andauerte. Im Dorf fand sie keinen Anschluss, weil sie als Fremde galt und zudem alleinerziehende Mutter war. Nach und nach wurde sie zur Alkoholikerin. Ihre Männerbekanntschaften wechselten schnell. Und vor allem zog sie ein schizophrenes Kind heran. Bei Viviane lief hingegen alles glatt. Sie erzog ihren Jungen und pfiff im Übrigen auf ihre Schwester. Sie hatte die Idee mit den beiden Fotoalben. Weil die beiden Jungen absolut identisch waren, fotografierten die beiden

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