Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
Adern gefrieren, obwohl er in Sicherheit war; nur er konnte die Tür von außen öffnen.
Kurz nach 15.00 Uhr entriegelte er die Tür zu François Brials Zimmer. Zwei Polizisten traten ein, die Brial bei den Mordermittlungen schon einmal gesehen hatte. Er fragte sich, warum der Chef nicht persönlich kam.
José Farias stellte sein Laptop auf den Tisch und verband es mit einem Drucker. Brial bemerkte das Unbehagen der beiden jungen Beamten, die seinem Blick auswichen. Ich habe bereits gewonnen , dachte er enttäuscht. Sie haben Angst vor mir, vor dem, was ich darstelle . Er sah, dass Ingrid Sainte-Rose ihn mit einem kurzen Seitenblick streifte. Sie schien erleichtert, dass er ans Bett gefesselt war.
Die Befragung dauerte kaum eine Stunde. José Farias und Ingrid Sainte-Rose wirkten inzwischen etwas entspannter und stellten ihm banale Fragen, die Brial ein wenig verwirrt mit Leichtigkeit beantworten konnte. Er machte sogar nähere Angaben zu den persönlichen Daten des Olivier Émery, dessen Identität er angenommen hatte. Farias löste die Handschellen an seiner linken Hand, damit Brial das Protokoll unterschreiben konnte, obwohl es unvollständig war. Keine Frage zu seiner Mutter, seinem Bruder oder den Morden. Nichts. Sicher würde der Chef noch kommen.
Als die Polizisten das Zimmer verließen, erschien ein Pfleger, um die Infusionsflasche zu entfernen. Sogleich entdeckte Brial das Radio, das der Mann in der Tasche seines Kittels trug, und deutete mit dem Kinn darauf.
»Könnten Sie mir das vielleicht leihen?«
»Leider nein. Aus Sicherheitsgründen ist es nicht gestattet, dass solche Dinge in Ihrer Nähe sind.«
»Und wenn Sie es ans andere Ende des Zimmers stellen? Zum Beispiel auf die Abdeckung über der Heizung. Ich käme nicht heran, schließlich bin ich gefesselt.«
Der Pfleger zuckte die Schultern, stellte das Radio auf und schaltete einen Sender ein, auf dem ein Wortbeitrag lief. Als er eben das Zimmer verlassen wollte, sprach Brial ihn erneut an.
»Entschuldigen Sie, aber könnten Sie vielleicht einen anderen Sender einstellen?«
»Klar. Welchen wollen Sie?«
»FIP. Auf 105,1.«
Der Pfleger stellte die Frequenz ein und ging. Mit einem Lächeln auf den Lippen lauschte Brial dem Sender, den er so gut kannte. Er musste fast eine Stunde warten, ehe die Stimme einer Moderatorin humorvoll verkündete, dass die Verkehrslage in Paris allmählich wieder problematischer wurde, bevor sie einen Jazztitel ankündigte. Brial, der sich nach den Tagen der Anspannung endlich wieder ruhiger fühlte, bedauerte, dass er nicht telefonieren konnte, und bedankte sich im Geiste bei der Moderatorin.
Nach seinem Gespräch ließ Mistral sich vor einem großen Kaufhaus absetzen; eine Viertelstunde später stieg er mit seinen Einkäufen wieder in den Wagen. Roxane Félix brachte ihn zum Präsidium zurück. Mistral genoss ihre souveräne Fahrweise und nahm die Gelegenheit wahr, zehn Minuten lang Auszüge aus einer CD von Miles Davis zu hören, die beim Jazzfestival vom Montreux im Jahr 1991 live aufgenommen worden war.
Als Mistral das Büro betrat, fand er Vincent Calderone und Jacques Thévenot in einer angeregten Diskussion vor.
»Nun, Herr Doktor, halten Sie durch? Sind Sie noch nicht zu müde?«
»Natürlich bin ich müde. Und wie! Ich frage mich, wie Sie das seit Wochen durchhalten.«
»Das weiß ich auch nicht. Vermutlich hält mich der Fall auf Trab. Aber jetzt haben wir es fast geschafft. In ein paar Stunden ist es vorbei.«
»Ich muss gestehen, dass ich auf das Vernehmungsprotokoll von François Brial wirklich gespannt bin. Für einen Psychiater ist es etwas ganz Besonderes, einen Fall dieser Größenordnung in Echtzeit verfolgen zu dürfen. Die DNA-Analysen sprechen für sich, und die Geschichten in den Heften reichen locker aus, die Brüder Brial ein für alle Mal hinter Gitter zu bringen. Warum tun Sie es nicht?«
»Weil der Fall dann für mich nicht wirklich abgeschlossen wäre. Mir ist wichtig, genau zu wissen, dass ich mich nicht geirrt habe, und ich möchte es vom Täter selbst erfahren. Außerdem spielt zum Beispiel der uns noch unbekannte Kontext der Verbrechen eine Rolle.«
»Um wie viel Uhr fahren Sie ins Krankenhaus?«
Mistral blickte auf die Wanduhr im Büro.
»In etwas mehr als einer Stunde.«
»Und wie wollen Sie vorgehen?«
»So ganz genau weiß ich das noch nicht. Inzwischen werde ich mir statt Kaffee dieses Mal eine Tasse Tee gönnen und ein bisschen herumtelefonieren.«
Mistral war
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