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Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Titel: Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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und griff nach seinen Medikamenten, von denen er wusste, dass sie die Qualen nur abmilderten. Mit einem halben Liter Wasser spülte er die Tegretol-Tabletten hinunter. Eigentlich hätte er die Pillen zu festgelegten Zeiten nehmen müssen. Außerdem durfte er die Dosis nicht erhöhen. Doch er hielt sich nie an die Vorschriften des Arztes.
    Er kannte die Schmerzen nur zur Genüge. Sie begannen immer links im Rücken auf Höhe des Schulterblattes. Die Muskulatur krampfte sich so heftig zusammen, dass ihm die Tränen in die Augen schossen. Der Schmerz wanderte die Wirbelsäule entlang nach oben, fraß sich bohrend durch Schädel und Ohr und explodierte im Auge. Die Diagnose lautete Arnold’sche Neuralgie, die Qualen waren jenseits des Erträglichen und wurden mit schwersten Schmerzmitteln behandelt.
    Jetzt aber musste er sich gedulden. Die Schmerzmittel würden frühestens in einer halben Stunde wirken. Er hatte gelernt, dass er die Muskelkrämpfe lindern konnte, indem er die betroffenen Gebiete mit aller Macht gegen eine Tür- oder Mauerkante presste, was er zu Hause oder an stillen Orten auch immer tat. Der Schmerz war dann so extrem, dass er fürchtete, ohnmächtig zu werden. Trotzdem war es das einzige einigermaßen wirksame Mittel, das steinharte Muskelknäuel zu lockern, das seine Nerven einklemmte und dadurch Krämpfe in Ohr und Auge verursachte. Der Mann verdrehte sich und rückte seinen Rücken gegen die Kante seines Sitzes. Zwar nicht hart genug, aber immer noch besser als nichts. Der Schmerz war kaum zu ertragen. Ein dumpfes Pochen an der Scheibe holte ihn in die Realität zurück. Ein Polizist machte ihm ein Zeichen, das Fenster hinunterzudrehen.
    »Sie stehen im Parkverbot. Hier ist nur Lieferverkehr zugelassen.«
    »Ja, ja, ich weiß«, stammelte der Mann. »Ich fahre auch sofort weiter. Mir ist nur die Wasserflasche hinuntergefallen, und ich hatte Angst, dass sie aufgeht.«
    Meinen Polizeiausweis zeige ich nur im äußersten Notfall. Nicht, dass er mich in ein Gespräch über meine Dienststelle verwickelt. Aber ich mag jetzt beim besten Willen nicht reden. Die Schmerzen sind zu groß.
    Der Polizist nickte, blieb aber am Straßenrand stehen und wartete, bis der Mann weiterfuhr. Dieser startete sofort, obwohl sein Auge vor Schmerzen glühte, sein Schädel kurz vor der Explosion stand und das Muskelknäuel im Rücken weiterhin seine Nerven zusammenpresste. Wenige Hundert Meter weiter stellte er fest, dass er sich ganz in der Nähe der Wohnung des zweiten Aktes befand. Er suchte nach einem Parkplatz, wo kein Abschleppwagen drohte.
    Das 6. Pariser Arrondissement ist ein immer belebtes und von Parisern wie auch Touristen gleichermaßen geschätztes Viertel. Die Straßen sind schmal. Überall befinden sich kleine Cafés und Luxusboutiquen. Der Mann war körperlich am Ende, doch er wusste, wie er den irrsinnigen Schmerz zumindest besänftigen konnte. Er steuerte eine Tiefgarage an und blieb in der untersten Etage stehen. Eilige Menschen parkten unmittelbar neben ihm, doch sie bemerkten ihn nicht einmal. Er wartete, bis sie fort waren.
    Schließlich öffnete er seine Tür ganz weit, stieg aus und kniete sich so hin, dass er seinen Rücken gegen die Türkante pressen konnte. Mit Tränen in den Augen legte er seine ganze Kraft in den Druck, der den Krampf beenden sollte. Der Schmerz war so schlimm, dass er aufstöhnte und fast das Bewusstsein verlor. Zwei- oder dreimal musste er innehalten, weil Leute kamen; dann setzte er sich und holte tief Luft. Die Selbstmassage dauerte eine halbe Stunde. Danach brauchte der Mann eine weitere halbe Stunde, bis er wieder einigermaßen klar denken konnte. Schließlich verließ er die Tiefgarage – unendlich erschöpft, doch der Schmerz war erträglich geworden. Langsam setzte er seinen Weg fort. Vor einem Kiosk fuhr ein Auto aus einer Parklücke, die eigentlich keine war. Sofort nahm der Mann seinen Platz ein, trotz des wütenden Hupens eines anderen Verkehrsteilnehmers, der selbst dort hatte parken wollen. Nach neun Uhr abends war das Risiko, abgeschleppt zu werden, gleich null. Mit seinem Rucksack und einer zusammengelegten Sporttasche machte er sich auf den Weg. Die Wohnung des zweiten Aktes war nicht mehr weit entfernt. Auf dem Weg traf er Dutzende von Touristen in T-Shirts und Shorts, die sich mit Softeis vollstopften. Im Viertel war viel los. Touristen liefen auf den Fahrbahnen herum; mit dem Auto war kaum durchzukommen. All das passte dem Mann wunderbar ins Konzept. Je

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