Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
Sünden. Sollte er mich verstehen, hätte er ganz schön was zum Nachdenken.
Wieder einmal habe ich meiner Mutter DIE Frage gestellt, die ich ihr stelle, seit ich ungefähr zehn Jahre alt bin. Als einzige Antwort erhielt ich eine Ohrfeige, die mir fast den Kopf abriss. »Lass mich mit deinem blöden Vater in Ruhe«, fauchte sie mich an. Schon klar, dachte ich, aber sobald ich erwachsen bin, werde ich herausfinden, wer er ist und wo er sich aufhält. Das schwöre ich. Und für die Schläge werde ich mich eines Tages rächen, so viel ist sicher.
Eigentlich bin ich ziemlich zufrieden. Endlich träume ich wieder den Traum, der mir zwei Jahre lang abhanden gekommen war. Ich war sehr unglücklich und hätte beinahe sogar meine Mutter eingeweiht. Jetzt ist der Traum wieder da, und
er ist klarer als zuvor. Immer noch weiß ich nicht, ob der Schatten ein Junge oder ein Mädchen ist; ich komme nicht nahe genug heran, um es zu erraten.
In meinem Traum befand ich mich in einer riesigen Menschenmenge in einem Park und spürte, dass ich beobachtet wurde. Als ich mich umdrehte, entdeckte ich eine Gestalt, die mich fixierte. Ich lief ihr nach. Die Gestalt hatte einen großen Vorsprung. Wir liefen über eine Wiese und an einer Klippe entlang. Alles war unscharf. Je schneller ich wurde, desto schneller rannte der Schatten. Plötzlich strauchelte ich und stürzte von der Klippe. In diesem Moment bin ich aufgewacht. Ich habe mir geschworen, den Schatten eines Tages einzuholen.
Manchmal habe ich Kopfschmerzen. Der Arzt sagt, es wäre nichts Schlimmes. Trotzdem musste ich viele Untersuchungen über mich ergehen lassen. Schließlich meinte er zufrieden: »Es ist wirklich nichts Schlimmes.« Wenn aber nichts ist, warum habe ich dann Kopfschmerzen? Der Blödmann von Arzt hat mir darauf keine Antwort gegeben. Seit zwei Jahren gehe ich nicht mehr zur Schule, sondern mache Fernkurse, die mich schrecklich langweilen. Meine Mutter findet es besser so. Sie meint, so könne sie mich leichter zum Arbeiten bringen. Ich kann es nicht leiden. Ich sehe fast niemanden mehr, und Mutter schreit mich die ganze Zeit an. In der Schule habe ich gut mitgearbeitet, aber jetzt langweilt mich alles. Manchmal treffe ich ehemalige Schulkameraden. Gut, dass ich jetzt das Mofa habe. So komme ich wenigstens vom Fleck und kann sie manchmal besuchen.
Ich finde, es ist recht einfach, zu stehlen. Es macht mir Spaß. Ich klaue so ziemlich alles – Schulsachen, Süßigkeiten, Schallplatten, Spielzeug und Ersatzteile für mein Mofa. Aber nur von Zeit zu Zeit. Ich stehle nicht immer. Einmal wäre ich im Supermarkt beinahe von einem Ladendetektiv geschnappt worden. Jetzt beruhige ich mich erst einmal, und dann gehe ich woanders hin. Ein Kumpel, der ziemlich herumgammelt, hat mir eine Fluppe geschenkt.
Ich fahre Skateboard und lasse mich von Bussen oder Lkws mitziehen. Die anderen Autos hupen, um den Fahrer darauf aufmerksam zu machen, dass jemand hinten dranhängt. Einmal hat mich einer erwischt. Ein einziges Mal. Der Kerl hat seinen Lkw ganz sachte abgebremst. Ich kapierte nicht, warum. Schließlich sprang er aus dem Führerhaus, rannte auf mich zu und verabreichte mir zwei Backpfeifen, die sich gewaschen hatten. Seither verschwinde ich sofort und verstecke mich, sobald die Fahrt langsamer wird. Aber das Abgedrehteste ist, sich zwischen einem Lkw und dem Anhänger festzuhalten. Wenn die Räder deines Skateboards blockieren, bist du tot. Klasse!
Mutter hat meine Hefte mit den Träumen noch immer nicht gefunden. Mir ist aufgefallen, dass ich sie sofort nach dem Aufwachen aufschreiben muss, sonst vergesse ich sie. Wenn ich aber Albträume habe, verfolgen sie mich den ganzen Tag, manchmal sogar mehrere Tage. Es ist mir gelungen, meine Hefte gut zu verstecken. Ich lese oft darin, und gelegentlich mache ich Notizen an den Rand. Manches verstehe ich inzwischen besser, auch wenn es kompliziert ist und ich es nicht richtig ausdrücken kann.
In meinem Traum ist es immer neblig, und immer kehrt dieses endlose Rennen wieder. Ich laufe auf ein Ziel zu, das ich nicht kenne und von dem ich nicht weiß, ob ich es je erreiche. Es hilft mir und macht mich geduldiger, wenn ich meine Träume immer wieder nachlese. Ich rauche fast jeden Tag. Ich habe Geld gestohlen und mir Zigaretten und ein Feuerzeug gekauft, die ich ebenfalls verstecke.
Die Kerle, die mit meiner Mutter schlafen, kann ich nicht mehr ertragen. Immer noch bedeckt Mutter mein Gesicht. Ich bin sicher, sie weiß, dass ich
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