Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
mehr Leute unterwegs waren, desto weniger würde jemand sich später seiner erinnern und ihn beschreiben können.
Mit seinem Generalschlüssel konnte er den Hausflur problemlos betreten. Mit trockenem Mund stieg er bedächtig die mit einem roten Läufer ausgelegte Treppe hinauf, wobei er sich am Geländer festhielt. Ihn schwindelte. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Er wusste, dass diese Erscheinungen zu den Nebenwirkungen des Tegretol gehörten. Doch er musste es schaffen. Unbedingt. Als er vor der Wohnung seines zukünftigen Opfers angekommen war, atmete er tief durch, um sich zu beruhigen. Er legte das Ohr an die Tür und versuchte, Geräusche zu identifizieren. Er hörte nichts und schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. Schließlich nahm er leise Töne wahr, die er jedoch nicht zuordnen konnte. Stimmen hörte er nicht. Er zog seinen Polizeiausweis hervor und läutete. Innen näherten sich Schritte. Eine fragende, weibliche Stimme erklang hinter der Tür.
»Ja bitte?«
»Polizei, Madame.«
Ein Schloss wurde entriegelt, und die Tür öffnete sich einen Spalt. Der Mann streckte der Bewohnerin seinen Ausweis entgegen und verbarg so die untere Hälfte seines Gesichtes. Heftig stieß er mit der Schulter zu. Die Frau taumelte und fiel rückwärts. Mit einem Fußtritt schloss der Mann die Tür hinter sich. Endlich war er in der Wohnung. Er atmete auf. Die Frau war auf den Rücken gefallen und ziemlich benommen. Er hatte ihr mit dem Türblatt die Nase gebrochen. Undeutlich nahm sie wahr, dass der Mann Latexhandschuhe überstreifte und eine Gummihaube aufsetzte. In panischer Angst versuchte sie sich aufzurichten. Ihr Kopf war noch gesenkt, als der Schlagstock auf ihren Schädel niedersauste. Ihre Bewegung fror ein. Der Mann ließ sich neben sie fallen, bemüht, seinen Atem unter Kontrolle zu bringen. Der Schmerz schoss erneut in seinen Kopf.
Clara hörte überrascht, dass Ludovic seinen Wagen in der Garage parkte. Normalerweise stellte er ihn immer draußen vor dem Haus ab. Wenige Minuten später erschien er im Haus. Er war vollständig nackt. Clara schwankte zwischen Lachlust und Besorgnis.
»Dein Aufzug ist geradezu perfekt. Ich habe die Nachbarn auf ein Glas eingeladen. Sie werden in ein paar Sekunden hier sein.«
»Im Ernst?«
»Nein, das war ein Scherz. Ich wollte nur dein Gesicht sehen. Also, du gefällst mir zwar wirklich, aber du bist doch ganz schön dünn geworden. War die Hitze heute so schrecklich?«
»Das auch. Aber vor allen Dingen habe ich den Eindruck, nach Tod zu stinken. Ich habe mich in der Garage ausgezogen und meine Kleider in einen Sack gesteckt. Jetzt gehe ich erst einmal duschen; danach erzähle ich dir alles.«
Eine halbe Stunde später berichtete Ludovic von dem Leichenfund, ohne allerdings zu sehr ins Detail zu gehen. Nur den Geruch erwähnte er, der ihn immer noch verfolgte und an seiner Haut zu kleben schien.
»Hier hast du ein Flakon mit deinem Lieblingsduft. Schnuppere daran, dann wird es dir gleich besser gehen. Ich weiß es genau; immerhin bin ich Expertin.«
»Du bist einfach toll!« Mistral sah seine Frau lächelnd an. »Sag mal, wieso findest du, dass ich dünn bin?«
»Na, weil es so ist. Du schläfst schlecht und isst wenig – das sieht man. Außerdem glaube ich, dass du nicht recht in Form bist, aber nicht mit mir darüber reden willst. Richtig?«
»In gewisser Weise schon. Aber kein Grund zur Sorge. Und ich bin auch nicht der Einzige. Die Hitze macht uns allen zu schaffen.«
»Ja klar, auf die Hitze kann man natürlich alles schieben. Du darfst aber nicht vergessen, Ludo, dass ich das schreckliche Ende deines letzten Falles miterlebt habe. Denk einfach daran, dass du jederzeit mit mir reden kannst. Ich werde dich sicher verstehen.«
»Ach Clara, mach dir nicht so viele Sorgen. Mit dem letzten Fall hat es sicher nichts zu tun.«
A USZUG AUS DEN T RAUM - UND T AGEBÜCHERN DES J.-P. B.
1980
Zu meinem fünfzehnten Geburtstag habe ich mir ein gebrauchtes Mofa gekauft. Zunächst habe ich darauf gespart und mittwochs und samstags Autos gewaschen. Doch dann begriff ich, dass ich auf diese Weise mindestens noch zwei Jahre warten müsste, ehe ich mir meinen Wunsch erfüllen konnte, und fing an, Geld zu stehlen. Es war ganz leicht. Ich habe mich einfach nicht erwischen lassen. Drei Wochen später hatte ich mein Mofa.
Mein Hund Tom ist immer bei mir. Er hört mir zu, wenn ich mit ihm rede. Er ist der Einzige, dem ich alles beichten kann – sogar meine schlimmsten
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