Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
bekannt vorkam. Es war der Zugführer der Feuerwehr, der sich nicht lange mit Floskeln aufhielt.
»Ich habe gleich Ihre Nummer angerufen, damit es schneller geht. Wir sind in der Rue de Seine im 6. Arrondissement. Das Szenario ist wie in der Rue Madame: eine ermordete Frau, das Gesicht unter einem Tuch und voller Spiegelscherben. Wir haben nichts angefasst und sind nur zu zweit in der Wohnung gewesen. Meine Jungs haben draußen auf dem Treppenabsatz gewartet. Kommen Sie?«
»Wo genau ist es?«
»Das Eckhaus zur Rue des Beaux-Arts, Hausnummer 2. Sie können uns nicht verfehlen. Unser Wagen steht mitten auf der Straße.«
»Kennen Sie schon den Namen des Opfers?«
»Der Mann am Notruftelefon sprach von einer Chantal Colomar.«
Mistral stellte dem Feuerwehrmann eine Frage, auf die er im Voraus die Antwort wusste.
»Glauben Sie, der Anrufer war der gleiche wie in der Rue Madame?«
»Mit Sicherheit. Offenbar haben wir Pech gehabt.«
»Sieht ganz danach aus. Ich komme jedenfalls sofort und schicke die Verkehrspolizei, um den Verkehr in der Rue de Seine zu regeln.«
Mistral stürmte aus seinem Büro, wies Calderone an, Dalmate und sein Team sowie die Verstärkungsgruppe mitzubringen, und ging zu Balmes.
»Junge, jetzt musst du zusehen, dass du die Segel einholst. Da zieht ein dickes Unwetter auf. Wenn dir die Wellen über das Deck schlagen, musst du aufpassen, dass du keinen Schaden nimmst. Ruf mich an, sobald du Näheres weißt.«
Trotz der ernsten Lage musste Mistral angesichts des treffenden Bildes grinsen. Er ging weiter zur Einsatzleitung, forderte den Erkennungsdienst an und bat darum, den Staatsanwalt zu informieren. Mit großen Schritten rannte er weiter zu seinem Auto. Calderone erwartete ihn bereits. Wenige Minuten und vier überfahrene rote Ampeln später hielten die Wagen der Kripo mit Blaulicht, Martinshorn und quietschenden Reifen in der nur elfhundert Meter vom Präsidium entfernten Rue de Seine. Der Einsatzwagen der Feuerwehr stand weithin sichtbar auf dem schmalen Bürgersteig.
Mistral, Calderone und Dalmate gingen die Treppe hinauf. Die Feuerwehrleuten warteten auf dem Absatz in der dritten Etage. Bereits auf der Treppe schlug den Beamten der Verwesungsgeruch entgegen. Instinktiv griffen sie in ihre Taschen, um sicherzugehen, dass sie ihre Taschentücher nicht vergessen hatten. Mit stoischer Miene vertraten sich die Feuerwehrleute vor der offenen Wohnungstür die Beine.
»Und das Ganze wieder von vorn!«
Die Begrüßung und das Lächeln des Feuerwehrhauptmanns zeugte von einem gewissen Fatalismus.
»Wann endet Ihr Bereitschaftsdienst?«, erkundigte er sich bei Mistral.
»Als Dezernent ist man immer in Bereitschaft«, antwortete Mistral amüsiert. »Aber für das Team, das sich um die beiden Fälle kümmert, endet die Bereitschaft am Sonntag. Und ich gehe jede Wette ein, dass wir am Sonntag noch mal dran sind.«
»Reden Sie das Pech bloß nicht herbei. Mein Team ist nämlich ebenfalls bis Sonntag in Bereitschaft.«
»Sie waren nur zu zweit in der Wohnung?«
»Richtig. Die Tür war lediglich ins Schloss gezogen; wir konnten sie ganz einfach mit dem Brecheisen öffnen. Als wir gesehen haben, was los war, sind wir sofort umgekehrt und haben nichts berührt.
Die Kripobeamten zogen Handschuhe und Überschuhe an. Mistral betrat die Wohnung als Erster und hielt die ersten Eindrücke mit dem Diktafon fest. Vor der durch die Verwesung bereits deformierten Leiche der jungen Frau blieb er stehen. Sie lag nackt auf dem Rücken. Ihre Arme befanden sich unter dem Rumpf. Ein weißes Tuch, ganz steif von getrocknetem Blut, lag über ihrem Gesicht und spannte sich über die Spitzen der Spiegelscherben. Mistral untersuchte den Raum langsam von links nach rechts.
Die Wohnungstür öffnete sich auf einen hellen Flur, dessen Wände mit einer ganzen Sammlung von Karnevalsmasken geschmückt war. Rechts ging es zur Küche, geradeaus mündete der Flur in ein Wohnzimmer, an dessen Wänden ebenfalls Masken hingen. Zur Linken lagen das Bad und zwei Schlafzimmer. Mistral ging um die Leiche herum und betrachtete das Wohnzimmer genauer. Die Wände waren mit rotem Samt bespannt. Neben den Masken hingen Dutzende Fotos in Farbe und Schwarz-Weiß, die alle Models bei Modeschauen zeigten. Möbliert war das Zimmer mit zwei weißen Ledersofas, einem Couchtisch, auf dem Bücher mit Modefotos lagen, einem großen Fernseher, einer Hi-Fi-Anlage und Regalen, in denen viele CDs und DVDs standen. Dicke Teppiche lagen auf dem
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