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Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Titel: Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Parkettboden.
    Mistral untersuchte auch die anderen Zimmer. Dabei sprach er in sein Diktafon und beschrieb alles minutiös. In Chantal Colomars Schlafzimmer war das Unterste zuoberst gekehrt, als hätte ein Wirbelsturm den Raum heimgesucht. Die Matratze lehnte aufrecht an der Wand, die Türen der Schränke standen weit offen, der Boden war mit Kleidungsstücken übersät.
    Reglos starrten die Polizisten auf die malträtierte Leiche. Sie wussten, dass sie in dem Augenblick, wo sie mit ihrer Arbeit begannen, die vom Mörder beabsichtigte Anordnung zerstören würden. Sie wagten kaum zu atmen. Alle drei betrachteten das mit einer feinen Handschrift bedeckte Blatt Papier auf dem Bauch der Frau. »Darum verdross es mich zu leben, denn es war mir zuwider, was unter der Sonne geschieht, dass alles eitel ist und Haschen nach Wind.« Mistral und Calderone warfen Dalmate einen fragenden Blick zu. Wortlose nickend bestätigte Dalmate, dass auch dieses Zitat aus dem Buch Prediger stammte.
    Mistral kniete sich vor das Gesicht der Toten und bemühte sich, die Tausende Fliegen abzuwehren, die es summend umschwirrten. Er wusste, dass es unter dem Tuch zerstört, verzerrt und aufgedunsen sein würde, und versuchte sich vorzustellen, was in diesem Zimmer passiert war und was das Opfer wohl als Letztes gesehen hatte.
    Die Beamten arbeiteten so konzentriert, dass sie die Geräusche von der Straße kaum wahrnahmen. Erst nach und nach wurden sie sich des Verkehrslärms und des Lachens der Touristen bewusst, die auf dem Weg zu den Seine-Kais waren und sich auf der Passerelle des Arts fotografieren ließen. Plötzlich fiel ihnen wieder auf, dass die unglaubliche Hitze wie eine kompakte Masse in der Wohnung hing. Der Geruch, der aus der gefolterten Leiche entwich, haftete der gesamten Umgebung an. Am schlimmsten jedoch waren die Fliegen. Calderone machte Filmaufnahmen vom Tatort, Dalmate schrieb etwas auf. Mistral dachte nach.
    Schwere Schritte polterten die Treppe hinauf. »Himmel, stinkt das hier!«, rief jemand und fügte hinzu: »Dem Geruch nach zu schließen sind wir gleich da. Mein Gott, was ist das für eine Hitze. Kann sich jemand an einen solchen August erinnern? Zwei Morde innerhalb einer einzigen Woche. Gut, dass wir schon gegessen haben – das kann einem ja wirklich den Appetit verderben.« Die Spurensicherung war auf dem Weg. Ehe die Männer die Wohnung betraten, hüllten sie sich in ihre weißen Overalls und warfen den Kripo-Beamten vorwurfsvolle Blicke zu, weil diese nur Handschuhe und Überschuhe benutzten.
    Nach vielen Fotos und Untersuchungen entfernten die Spezialisten schließlich das weiße, blutbefleckte Tuch, das über die Spiegelscherben gespannt war. Mistral beobachtete Dalmate aus dem Augenwinkel. Dalmate starrte tief erschüttert auf das gemarterte, aufgedunsene und verzerrte Gesicht des Opfers. Mistral verstand. Die Augen der jungen Frau waren nur halb geschlossen. Man konnte ihre verschleierten, ausdruckslosen Augen zwischen den Lidern hindurchschimmern sehen. Der erloschene Blick machte Dalmate zu schaffen.
    »Beim ersten Mal ist es immer furchtbar«, murmelte Mistral so, dass es außer Dalmate niemand hören konnte. »Bleiben Sie nicht an diesem Blick hängen, sonst wird er Sie nächtelang verfolgen. Ich weiß, wovon ich rede: Mir ist das nämlich ebenfalls passiert.« Dalmate dankte ihm mit einem leichten Nicken.
    Nachdem die wichtigsten Arbeiten erledigt waren, machten die drei Beamten eine kurze Pause auf der Straße. Selbst die heiße, nach Abgasen riechende Luft schien eine Wohltat nach dem Gestank in der Wohnung. Mistral trat einen Schritt zur Seite und rief Balmes an, um ihm mitzuteilen, dass der Mord genau dem Muster der ersten Tat entsprach. Calderone und Dalmate tauschten mit leiser Stimme ihre ersten Eindrücke aus.
    Die Schutzpolizisten des Arrondissements regelten den Verkehr. Sébastien Morin unterhielt sich mit einem von ihnen. Mistral schnappte den Schluss des Gesprächs auf.
    »Euer Chef bleibt tatsächlich immer in dem klimatisierten Wagen sitzen?«
    »Ach, sei bloß still. Anscheinend ist es das Privileg der Dienstälteren. Ich wünschte, die vermaledeite Hitzewelle wäre endlich vorbei.«
    Mistral schickte zwei Uniformierte nach oben. Sie sollten Chantal Colomars Wohnungstür bewachen und die Spurensicherung vor Schaulustigen bewahren. Im Schatten an ein Auto gelehnt dachte er über die beiden so ungewöhnlichen Morde nach, die offenbar von ein und demselben Täter verübt worden waren. Was

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