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Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Titel: Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Verärgert wollte er das Radio ausschalten – er ertrug die einzige männliche Stimme des Senders einfach nicht! –, als er plötzlich wie gebannt innehielt. Die Nachrichten begannen mit SEINEM Fall. »Wie aus gut unterrichteten Kreisen verlautet, herrscht in Justizkreisen Verwirrung über die frappierende Ähnlichkeit dreier Morde in Paris mit einer ähnlichen Serie im Herbst 2002 im Département Oise. Der Anwalt des Hauptverdächtigen besteht auf einer sofortigen Freilassung seines Mandanten, da, so wörtlich, die Indizien zu einer Verurteilung bei Weitem nicht ausreichten.«
    Olivier Émery war absolut sicher, dass die Meldung eine Mahnung an ihn war, seine Vorsichtsmaßnahmen noch zu verstärken. Außerdem war er überzeugt, dass die Polizei die Moderatorinnen von FIP daran hinderte, seine Anrufe entgegenzunehmen, und dass sie auf diese Möglichkeit zurückgriffen, um sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Sie waren wirklich fantastisch! Olivier Émery musste sich einfach bedanken. Das war er ihnen schuldig. Er betrat eine Gaststätte, von der er sicher war, dass er dort noch nie telefoniert hatte, bestellte ein Bier und ging zum öffentlichen Te l e f o n.
    »Guten Tag, ich möchte gern mit der Moderatorin sprechen, die gerade auf Sendung ist.«
    Die Telefonistin winkte den Techniker herbei und schaltete kurz auf stumm.
    »Der Irre ist wieder dran.«
    Der Techniker bedeutete ihr, dass er das Gespräch mitschnitt.
    »Guten Tag, Monsieur. Die Moderatorin ist im Studio und kann nicht gestört werden.«
    »Ja, ich weiß. Ich möchte mich nur bei ihr bedanken.«
    »Wofür? Ich könnte es ihr ausrichten.«
    »Nein, das wäre zu kompliziert. Auf Wiederhören.«
    Die Telefonistin zuckte die Schultern und vertiefte sich in eine Frauenzeitschrift. Der Techniker beendete die Aufzeichnung.
    Olivier Émery legte langsam auf. Er war zwar nicht zufrieden, aber glücklich, unendlich glücklich, dass er noch einmal bei FIP hatte anrufen können, obwohl er wieder einmal nicht durchgestellt worden war. Aber damit hatte er gerechnet. Er hatte der Moderatorin eine Nachricht zukommen lassen, obwohl sie nicht selbst am Telefon gewesen war. Sie würde sich bei ihm in aller Stille dafür bedanken. Émery stellte sich an den Tresen und trank nacheinander drei Gläser Bier. Das Schälchen mit den Erdnüssen, das man vor ihn hingestellt hatte, ekelte ihn an. Er dachte an die verschwitzten, schmutzigen Finger, die damit herumhantiert hatten. Mit seinem Brillenetui schob er die Schale weiter weg, um sie nicht mehr sehen zu müssen. Der Kellner hob die Augen zur Decke, schüttelte den Kopf und seufzte im Stillen: Schon wieder so ein Verrückter. Die nehmen langsam wirklich überhand!
    Als Émery die Kneipe verließ, sah er drei etwa zehnjährige Jungen, die sich sehr gemein über ein gleichaltriges Mädchen lustig machten. Im Näherkommen beobachtete er die Kinder und blieb schließlich unmittelbar vor ihnen stehen. Die Jungen hörten sofort auf zu lachen. Der Mann mit dem merkwürdigen Gesicht machte ihnen Angst. Hastig liefen sie davon. Nur das Mädchen blieb und starrte Émery bewegungslos an.
    »Ihr Gesicht sieht schlimm aus. Fast ein wenig zum Fürchten. Sind Sie geschlagen worden?«
    Émery überlegte einen Augenblick.
    »Das ist eine lange Geschichte, die ich dir jetzt nicht erzählen kann. Warum weinst du?«
    »Weil die Jungen eine Spinne zerquetscht haben, die ich jeden Tag beobachtet habe.«
    »Eine große Spinne?«
    »Nicht besonders groß. Sie hatte ihr Netz zwischen der Regenrinne und dem Bürgersteig und fraß Fliegen.«
    »Es kommt selten vor, dass ein kleines Mädchen keine Angst vor Spinnen hat.«
    »Nein, sie tun einem schließlich nichts.«
    »Nicht alle.«
    »Meine Mutter sagt immer: Spinne am Morgen, Kummer und Sorgen, Spinne am Abend, erquickend und labend.«
    »Ja und?«
    »Ich mag nicht, dass man am Abend eine Spinne tötet, weil sie doch Glück bringen. Und nach dem Mittagessen fängt doch schon fast der Abend an.«
    »Ja, eigentlich hast du recht.«
    Noch auf der Treppe zu seiner Wohnung dachte Olivier Émery über die Worte des kleinen Mädchens nach, die ihn verblüfft hatten. Er begegnete dem Mann aus der Wohnung unter ihm und murmelte einen undeutlichen Gruß. Der Alte jedoch würdigte ihn keines Blickes und blieb nicht stehen. Émery maß dem Verhalten des Nachbarn keinerlei Bedeutung bei. Sein Kopf drehte sich, er hatte Schmerzen, und ihm war übel. Hastig verschlang er ein paar harte Eier, spülte sie mit

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