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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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es?«, fragte ich, während ich mit dem verknoteten Anschnallgurt kämpfte.
    Mirella hob eine Augenbraue. »Hast du noch immer keine Uhr?«
    »Das Ticken macht mich irre.«
    »Wir leben im digitalen Zeitalter.«
    »Digitales macht mich irre. Deshalb ist das Handy ja auch immer aus.« Ich seufzte leise und zuckte mit den Schultern. »Nein, Signora Mistrani, ich habe keine Uhr. Also, wie spät ist es? Schaffen wir es heute noch zum anderen Wachmann?«
    Mirella warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stutzte. Dann klopfte sie mit dem Fingernagel vorsichtig auf das fragile Abdeckglas. »Halb fünf? Das kann nicht sein. Es war ja schon drei, als wir mit Manuel hier ankamen. Außerdem wird es gleich dunkel.«
    »Vielleicht stehengeblieben?«, fragte ich und unterdrückte ein Gähnen. Ich war müder, als ich mir eingestehen wollte. Ganz offensichtlich war ich all die Aufregung nicht mehr gewohnt. Ich sehnte mich nach Ruhe, einem guten Buch und einem schönen Rotwein. Und vielleicht einem kleinen Flirt mit meiner Klarinette.
    Mirella schüttelte den Kopf. »Nein, die Uhr läuft ganz normal.«
    Sie hielt mir den Arm hin. Es stimmte. Die Zeiger umrundeten in beneidenswert gelassener Regelmäßigkeit das Ziffernblatt.
    Ich zuckte erneut mit den Schultern. »Vielleicht hast du sie unbemerkt verstellt, als du dem Typen an die Gurgel gegangen bist.«
    »Möglich«, murmelte Mirella, doch es klang nicht überzeugt. Sie stellte das Autoradio an. Nachrichten. Es war 19 Uhr.
    Mirella schüttelte den Kopf, korrigierte die Zeiteinstellung der Uhr und drehte dann den Zündschlüssel herum. Mit einem asthmatischen Keuchen startete der Jetta. Tatsächlich. Alles wie früher.
    »Das mit dem Gespräch verschieben wir lieber auf morgen«, sagte sie, während sie den Wagen rumpelnd über den Vorplatz der Klinik lenkte, zurück zur Straße. »Für heute reicht es mir und der Wachmann läuft uns sicher nicht weg. Wie auch, im Krankenhaus.«
    Nach etlichen Gesprächen mit Hades würden mir so einige Gründe einfallen, gerade aus einem Krankenhaus wegzulaufen. So schnell wie möglich. Aber das behielt ich lieber für mich. Wenn wir jetzt nichts mehr zu tun hatten, taten sich unerwartete Möglichkeiten für den Abend auf.
    »Und?«, fragte ich deshalb und setzte ein betont harmloses Gesicht auf.
    »Was, und?«
    »Gehst du mit mir essen?«
    Mirella bremste abrupt ab und musterte mich einen Moment mit zusammengekniffenen Augen. Dann grinste sie breit und schüttelte den Kopf. »Nie im Leben, Jakob Roth. Nie im Leben.«

Kapitel 7
    Normalerweise behalte ich es für mich, dass die Kopfschmerzen mich begleiten wie mein Schatten. Und gerade jetzt, wo die Akademietüren sich auf unerwartete Weise wieder für mich geöffnet hatten, brauchte niemand davon zu wissen. Meine Verschwiegenheit hatte mich schon immer geschützt. Jetzt war sie wichtiger als je zuvor.
    Doch an diesem Abend gewann der Kopfschmerz ein Eigenleben und eine Intensität, der ich nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Das war nicht mehr nur diese leichte Spannung unter der Schädelkalotte, die sich gelegentlich wie ein schlummerndes Tier drehte. Es war ein heftiger Schmerz, der sich in Wellen ausbreitete und unter meiner Kopfhaut tobte wie ein entfesselter Sturm. Ich lag erschöpft auf dem Sofa und versuchte, meine Sinne wieder unter Kontrolle zu bekommen. Kein Medikament half. Und auch sonst nichts. Gut, dass Mirella sich geweigert hatte, den Abend mit einem gemeinsamen Essen zu beenden. Ich hätte mich nur ungern als taumelnder Kopfschmerz-Pflegefall von ihr nach Hause bugsieren lassen. Es gibt wenige Dinge, die entwürdigender sind als eine Migräneattacke mit allem Drum und Dran.
    Ich glitt vom Sofa herunter, robbte auf Knien zu meinem Schreibtisch und zog eine Schublade auf, in der ich einen Haufen Visitenkarten aufbewahrte. Wo war diese eine Karte, die mir Emilie einmal im Treppenhaus zugesteckt hatte, als ein besonders heftiger Kopfschmerzanfall mich zuletzt gebeutelt hatte? Sie schwor auf diesen Therapeuten … und ich hatte ihr versprochen, ihn beim nächsten Kopfschmerzanfall zu kontaktieren. Falls ich in diesem Zustand überhaupt würde lesen können.
    Ich kramte im Gewühl aus Papier, bis mir endlich die Karte in die Hände fiel. Schlichtes helles Beige, ein dunkelrotes chinesisches Schriftzeichen in der Ecke und ein Name. Die Buchstaben tanzten vor meinen Augen und eine heftige Übelkeit erfasste mich. Trotzdem fokussierte ich den Blick so lange auf die Karte, bis ich die

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