Die dunkle Seite des Weiß
festem Griff zu befreien versuchte. Er war in eine dunkelblaue Uniform gekleidet, hatte einen Schlagstock am Gürtel und musste auch eine Kappe getragen haben, die ihm bei Mirellas plötzlichem Angriff vom Kopf gerutscht war.
»Ich glaube, du kannst ihn loslassen.« Ich lehnte mich gegen die Wand. »Es ist nur der Wachmann von der Tagesschicht.«
*
»Sie sind also erst seit einer Woche für diese Firma tätig?«
Der Wachmann nickte nur nervös auf meine Frage und bewegte vorsichtig die Arme, die nach Mirellas festem Griff noch immer zu schmerzen schienen.
Wir hatten das Kellergewölbe verlassen und uns auf die verfallene Freitreppe des Klinikgebäudes gesetzt. Das Gespräch kam nur stockend in Gang, denn der Schreck saß dem Mann noch immer in den Knochen.
»Ja« erwiderte er zögernd. »Davor war ich über drei Jahre arbeitslos. Der Job hier ist eine echte Chance für mich. Hier in der Gegend gibt‘s doch sonst nichts zu tun. Und dann sowas! Man rechnet ja nicht damit, dass man gleich eine Leiche findet.«
Mirella musterte den Mann prüfend. »Wer hat die Arbeit vorher gemacht?«
Der Wachmann zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, wie der heißt. Aber er war lange hier, wohl schon seit der Wende.«
»Ist er in Rente gegangen?«, fragte ich, während Mirella sich Notizen machte.
»Nein, er musste ins Krankenhaus. Keine Ahnung, warum. Man erfährt ja nichts. Riskiert nur seinen Hals. Für ein paar verrottete Ruinen.«
Ich hob eine Augenbraue. »Sie halten Ihren Job für gefährlich? Warum?«
»Na sehen Sie sich doch um!« Der Wachmann schnaubte leise. »Verfallene Gebäude mitten im Wald. Hier ist nachts jede Menge komisches Volk unterwegs, das können Sie mir glauben.«
»Geht's vielleicht etwas genauer?«, fragte ich ungeduldig. Der Wachmann runzelte die Stirn und spuckte auf den Boden.
»Namen hab ich keine. Aber hier treffen sich nachts irgendwelche Kids, um Partys zu feiern. Das weiß doch jeder.«
»Und der Wachschutz tut nichts dagegen?«, fragte ich nach.
Der Wachmann lachte. »Na hören Sie mal. Ich bin alleine hier und das war mein Vorgänger auch. Da können Sie nicht viel ausrichten, selbst wenn Sie wollen. Aber ich bin ja nicht irre und komme den Kids in die Quere. Ich hab Familie, wissen Sie. Da riskiere ich doch nichts.«
Ich nickte stumm. Ja, das war verständlich. Auch wenn ich mir nicht sicher war, ob der Mann den Sinn von Wachschutz jemals erklärt bekommen hatte.
Mirella blickte von ihren Notizen auf. »Können Sie mir sagen, wo wir Informationen über Ihren Vorgänger bekommen können?«
»Klar, über die Firma. Dragonfight Security. Die sitzen in Treptow.«
Mirella nickte mit unbewegter Miene. Es war schwer zu sagen, was gerade in ihr vorging, selbst für mich. Oder gerade für mich.
»Vielen Dank.« Sie wandte sich zu mir um. »Lass uns gehen. Der Mann hat zu tun. Drachen töten und so.«
Ich nickte dem Wachmann zum Abschied zu und folgte Mirella mit breitem Grinsen zum Auto. Eins musste man ihr lassen. Je schlechter ihre Laune war, desto amüsanter wurde die Zusammenarbeit.
*
»Verdammt!« Mirella trat mit voller Wucht gegen ihren olivfarbenen alten Jetta. »Ich dachte, ich hätte es im Griff. So ein verfluchter Scheiß!«
Ich zuckte mit den Schultern. »Mir gefällt es, wenn du aus der Rolle fällst und armen unschuldigen Männern die Arme ausrenkst. Das ist sexy.«
»Idiot.« Ich sah, dass sie nur mit Mühe ein Lächeln unterdrückte. »Komm, lass uns fahren.«
Sie setzte sich hinter das Steuer, warf die Lilie, die sie aus dem Keller mitgenommen hatte, auf das Armaturenbrett und öffnete mir die Beifahrertür. Ich ließ mich in den ausgebeulten Sitz fallen. Alles wie früher. Die metallenen Federn unter der verschlissenen Polsterung drückten unangenehm in den Rücken und man saß so tief, dass die Knie fast ans Kinn stießen.
Ich beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Mirella eine kleine Kapsel aus einem Pillenetui fischte und sie seufzend unter die Zunge legte. Sie nahm die Medikamente also noch. Ob sie es regelmäßig tat, da war ich mir nicht sicher. Die Art, wie sie vorhin in Manuels Wohnung innerhalb von Sekunden von einer normalen Vernehmung in eiskalte und zweckmäßige Distanz gewechselt war, ließ mich auf der Hut sein. Ebenso die übertriebene Reaktion auf den Wachmann. Doch ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Was immer vor sich ging, war allein Mirellas Angelegenheit. Zumindest so lange, bis sie von selbst damit zu mir kam.
»Wie spät ist
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