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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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durch, strich mit der Zugangskarte am Sensor neben der Tür entlang und auch hier ertönte ein fast unmerkliches Klicken in den Tiefen des Türschlosses. Der schwere Stahl glitt mit einem leisen Surren zurück und eröffnete den Weg ins Archiv. Zu den Quellen.
    Jeder, der einmal Einblick in dieses Innere bekam, war überrascht. Denn das, was von außen so kühl und unnahbar wirkte, entpuppte sich als ältester Kern des weitläufigen Akademiegebäudes. Hier lag das Zentrum von allem. Und das Archiv hatte nichts gemein mit den sonst so sterilen Fluren, den kahlen Büros, den ausladenden und von Licht durchfluteten Hörsälen.
    Das Archiv war ein altertümliches Refugium der absoluten Stille. Der Geruch von Holz, Papier und Staub lag in der Luft und die Atmosphäre glich der Verschwiegenheit eines versunkenen Schiffes. Langsam schloss ich die schwere Stahltür hinter mir. Leise klickend rastete das Schloss ein.
    Auf den Arbeitstischen aus dunklem Holz brannte hier und da ein kleines Lämpchen mit grünem Glasschirm. Das Licht war viel weniger grell als im restlichen Teil der Akademie. Es hatte etwas Friedliches, dieses goldene Licht. Kleine Sonnen, in deren Schein man Dokumenten und Schriften in die Seele blicken konnte. Vielleicht war ich deshalb so gerne hier. Bücher verrieten meist mehr über Menschen als die Menschen selbst.
    Ich schloss kurz die Augen und genoss die absolute Ruhe. Selten hatte ich die Chance, meine eigenen Gedanken leise schreiten zu hören.
    »Jakob? Was machst du hier?«
    Die Stimme erklang so unerwartet, dass ich heftig zusammenzuckte. Direkt hinter mir stand Katherine. Ihr blasses, schmales Gesicht schimmerte im Halblicht der Lämpchen.
    »Ich … das könnte ich dich auch fragen«, entgegnete ich, während ich die Hände in die Hosentaschen stopfte, um ihr nervöses Zittern zu kontrollieren. Im Dunkeln von hinten überrascht zu werden, gehörte nicht gerade zu den Dingen, die meine seelische Ausgeglichenheit förderten.
    Katherine schien es zu bemerken. Vorsichtig machte sie einen Schritt auf mich zu. »Habe ich dich erschreckt?«
    »Nein, nein …« Ich atmete tief durch. »Zugegeben, ein bisschen. Nicht sehr.«
    Sie lächelte verlegen. »Das wollte ich nicht, entschuldige. Aber ich bin auch nicht daran gewöhnt, hier nachts überrascht zu werden. Deswegen bin ich hinter ein Regal geflüchtet. Bis ich dich erkannt habe.« Ein Funken Neugierde blitzte in ihren Augen auf. »Hast du nicht gespürt, dass ich in der Nähe bin?«
    »Nein, nicht im geringsten«, sagte ich – und bereute es sofort.
    Katherine wurde noch bleicher als zuvor und schluckte schwer.
    »Hey, das ist nicht außergewöhnlich!«, beeilte ich mich zu sagen. »Ich merke oft nicht, was um mich herum geschieht. Andere Dinge dafür umso mehr. Es ist ein wenig –«
    »Kompliziert«, murmelte Katherine und senkte den Kopf. »Ja, das dachte ich mir schon.«
    Plötzlich hatte ich den Impuls, sie umarmen zu wollen, doch das war absurd. Ich schob den Gedanken beiseite, trat einen großen Schritt zurück und räusperte mich etwas zu laut. »Also, was treibst du hier mitten in der Nacht?«
    Katherine lächelte gequält. »Ich lerne für das Examen.«
    Ich hob überrascht die Brauen. »Du studierst?« Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass Katherine noch etwas Anderes tat, als hier im Archiv zu arbeiten. Wann immer ich mich an sie erinnerte, war sie hier, in der Akademie.
    »Ja«, sagte sie. »Psychologie. Und wenn ich hier lerne, spare ich eine Menge Zeit, die ich sonst mit Fahrten in der U-Bahn verplempern würde.« Sie blickte mich an. »Aber bitte verrat es niemandem, ja? Ich dürfte gar nicht hier sein.«
    Ich lächelte und hob zwei Finger zum Schwur. »Von mir erfährt niemand etwas. Kein Wort. Ich weiß zu gut, wie das ist, wenn man eigentlich gar nicht hier sein dürfte.«
    Katherines Gesicht entspannte sich. Sie ging zu einem der Tische hinüber, knipste die Leseleuchte an, eine weitere kleine goldene Sonne im Universum des Archivs, und wandte sich dann wieder zu mir um, die Hände in den Hosentaschen ihrer Jeans.
    »Und du, Jakob Roth?«, fragte sie. »Was ist mit dir? Kannst du nicht schlafen? Zu viele Leichen im Keller?«
    Ich lachte heiser. »Könnte man so sagen, ja. Weit mehr als eine. Aber wegen der aktuellsten bin ich hier. Clara von Rieckhofen geistert durch meine Träume.«
    »Besser als gar keine Frauen«, murmelte Katherine so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob ich sie richtig verstanden hatte. Doch bevor ich

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