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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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Kein Wort mehr von dem Unsinn. Sonst komme ich auf böse Ideen für böse Versuchsreihen.«
    Plötzlich wurde mein Kopf seltsam frei und leicht. Das Herz schlug mir bis zum Hals und ein Prickeln jagte über meine Haut. Katherines Gesicht war dem meinen so nah, dass ich mich nur ein wenig hätte vorbeugen müssen, um –
    Die Tür zum Archiv flog auf und krachte gegen die Wand. Katherine und ich wirbelten herum. Im Türrahmen, atemlos, als wäre sie schneller gerannt als je zuvor, lehnte Mirella. Ihr Blick, der zwischen Katherine und mir hin und her wanderte, sprach Bände.
    »Hier bist du, dachte ich es mir doch«, sagte sie schließlich keuchend. »Du musst kommen. Schnell. In der Pathologie wurde eingebrochen.«
    »Seit wann stehst du auf Küken?«
    Das war keine Frage sondern eine Feststellung. Mirellas Tonfall war so eisig, als hätte ich ihr soeben eine verwerfliche Vorliebe gebeichtet. Und ihr gleichgültiges Gesicht passte nicht zu dem Funkeln in ihrem Blick.
    »Wie kommst du denn darauf?« Meine Stimme war ruhig, während wir durch die langen Flure gingen, immer weiter in Richtung Pathologie. Dass meine Exfrau in Anbetracht der Ungeheuerlichkeit eines Einbruchs in der Akademie mir gegenüber lieber Katherine thematisierte als die Möglichkeit eines Übergriffs von Dieben, Spionen oder Terroristen, brachte mich fast zum Lachen.
    »Jakob, ich bitte dich«, sagte Mirella kühl. »Das war nicht zu übersehen. Sie saß quasi auf deinem Schoß.«
    »Tatsächlich? Muss mir entgangen sein. Aber du hattest ja schon immer einen unfehlbaren Blick für Details. Ich erinnere an Fotos von mir im trauten Ambiente des russischen Rotlichtmilieus …«
    Mirella schnaubte leise und beschleunigte ihre Schritte.
    »Und, macht es dir etwas aus?«, hakte ich nach.
    »Dass eine Midlife-Crisis dich in die Arme kaum ernst zu nehmender junger Frauen treibt? Nein. Wieso auch?«
    Ich unterdrückte ein Grinsen. Nein, wieso auch …
    Plötzlich war mir egal, was der Flurfunk Hades geflüstert hatte. Die Sache begann, Spaß zu machen.
    »Merkwürdig«, murmelte Mirella und ließ den Blick durch den Sektionssaal wandern. »Es wurde nichts gestohlen?«
    Hades nickte. »Ganz sicher. Aber wir hatten auf jeden Fall unerwünschten Besuch.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf die offen stehenden Schränke. Jemand hatte sich in der Nacht Zugang zu den Räumen verschafft. Jemand, der ganz offensichtlich Interesse an den Dingen hatte, die hier gelagert wurden.
    »Wieso wird hier eigentlich nicht abgeschlossen?«, fragte ich. Die Tatsache, dass auch die Räume des pathologischen Instituts jederzeit zugänglich waren, hatte mich überrascht.
    Hades zuckte mit den Schultern. »Die Kühlräume müssen offen sein, weil man nie weiß, wann neue Leichen angeliefert werden. Keiner von den Mitarbeitern ist rund um die Uhr hier. Und wenn wir Schlösser hätten, bräuchten alle einen Schlüssel. Nicht nur die Assistenten und Hilfswissenschaftler, auch die Bestattungsunternehmen, die Notärzte, die Sanitäter, die Putzfrauen, die –«
    »Danke, ja, ich hab‘s begriffen.« Ich rieb mir gähnend die vor Müdigkeit brennenden Augen. Nach der langen Nacht im Archiv hatte ich ein wenig Schlaf bitter nötig. Stattdessen durfte ich mich jetzt mit diesem Vorfall herumschlagen. »Vielleicht eine Mutprobe?«, sagte ich schließlich. »Nachts in der Pathologie einbrechen, ist bei Jugendlichen bestimmt hoch im Kurs. Kommt wahrscheinlich direkt nach ‚Frauenleichen durch alte Krankenhäuser schleppen‘.«
    Hades zuckte mit den Schultern. »Möglich ist alles.« Er musterte mich prüfend. »Hat eigentlich irgendjemand mitbekommen, an welchem Fall ihr beide arbeitet?«
    »Wieso fragst du?«, sagte Mirella.
    »Na ja …« Hades rieb sich den Dreitagebart. »Es wäre nicht das erste Mal, dass etwas aus der Akademie nach außen dringt und Neugierige anlockt.« Er klopfte gegen eines der Kühlfächer. »Und so eine Leiche hat man eben nicht ständig herumliegen.«
    Mit schnellen Schritten war ich bei ihm. »Hol sie raus, sofort.«
    Hades grinste breit. »Hab ich doch schon längst gemacht. Clärchen geht‘s blendend, alles unverändert. Sofern man das sicher sagen kann. Wir haben schließlich ganz schön an ihr herum gefuhrwerkt. Ein Schnitt oder ein blauer Fleck mehr oder weniger fällt da kaum auf.«
    »Du denkst also, dass jemand wegen der Leiche hier war?«, fragte Mirella.
    Hades ging zum Waschbecken, drehte das Wasser auf und begann mit dem ewig gleichen

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