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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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nachhaken konnte, fuhr sie lauter fort. »Dann sollten wir anfangen, findest du nicht?«
    »Anfangen?«
    Sie deutete mit einem Nicken auf den gewaltigen Aktenstapel, der sich vor ihr auf dem Tisch türmte. »Das sind die von dir angeforderten Unterlagen. Beelitz Heilstätten 1910 bis 1912. Es passte nicht alles in dein Fach, deshalb habe ich es hierher gelegt.«
    Entgeistert starrte ich auf den Aktenberg. »Das alles?«
    Katherine lachte. »Ja, das alles.« Dann legte sie den Kopf schräg. »Also, wonach suchen wir?«
    *
    Ich wusste nicht, warum Katherine mir half, anstatt für ihr Examen zu büffeln. Vielleicht weil sie in mir einen interessanten psychologischen Fall sah. Vielleicht aber auch einfach, weil sie ein wenig Abwechslung brauchte.
    Die Stunden vergingen, während wir uns durch die vergilbten Aufzeichnungen wühlten. Es fühlte sich seltsam an, Katherine an meiner Seite zu haben. Seit Mirella hatte es niemanden mehr in meinem Leben gegeben, der die Arbeit mit mir teilte. Das Bett ja, wenn auch immer nur spontan und selten länger als für eine Nacht. Woran ich entscheidend die Schuld trug, es lag allein an mir. Jede Nähe war mir zu viel. Und vor allem seelische Nähe vertrug ich nicht mehr gut, seit mein Leben aus den Fugen geraten war. Umso mehr erstaunte es mich, dass ich mich hier neben Katherine, eingepfercht zwischen riesigen Stapeln staubiger Akten, wohlfühlte wie schon lange nicht mehr. Der Nachmittag mit Mirella verblasste, bis nichts mehr übrig war als eine nagende Erinnerung, die genauso Jahrhunderte hätte her sein können.
    Ich beobachtete Katherine aus den Augenwinkeln. Sie hatte sich in eine Akte aus dem Jahr 1912 vertieft, während ich noch die Reste des Jahrgangs 1911 durchging. Im weichen Licht der Bibliothekslampe wirkten ihre Züge sanfter als sonst und das glatte, dunkelblonde Haar, das ihr bis zum Kinn reichte, schimmerte wie Messing. Mein Blick wanderte weiter über die geschwungenen Augenbrauen, die langen, dunklen Wimpern und die gerade Nase, die ihrem Gesicht etwas Zeitloses gab. An ihren Lippen blieb ich hängen … in diesem Moment sah Katherine auf und mir direkt in die Augen. Ich fühlte mich ertappt.
    Sie lächelte. »Und, schon fündig geworden?«
    Ich räusperte mich, streckte den verspannten Rücken und schüttelte den Kopf. »Nein. Weit und breit nichts über eine Patientin namens Clara von Rieckhofen. Dafür jede Menge Uninteressantes. Dienstpläne, Arzneimittelbestellungen, Inventurlisten. Der Traum eines jeden Ermittlers.«
    Katherine lachte und ich sah eine Reihe heller, gleichmäßiger Zähne aufblitzen. Zahnspangengeneration. Zu jung für mich. Viel zu jung.
    »Und bei dir?«
    Katherine zuckte mit den Schultern. »Ähnlich. Aber es warten ja noch jede Menge Akten auf uns. Irgendwann stolpern wir schon über Clara. Oder über diesen Doktor Ewald.«
    »Aber nicht mehr heute Nacht«, sagte ich und rieb mir müde die Augen. Mein Kopf schmerzte. Zum ersten Mal seit Stunden nahm ich es wieder wahr. Ein vehementes Ziehen an den Schläfen, das mich daran erinnerte, dass ich auf mich aufpassen musste. Dass jede Tat, jeder Gedanke, jeder Fehler Konsequenzen nach sich zog. Das Pochen wurde so intensiv, dass ich mir an den Kopf fasste.
    Ich musste das Gesicht verzogen haben, denn Katherine sah mich besorgt an. »Alles in Ordnung?«
    »Ja, alles wunderbar«, sagte ich schnell. »Ich bin nur ein wenig müde.« Dann deutete ich mit einem leichten Nicken zum Fenster. »Sieh mal, es dämmert schon.«
    Sie folgte meinem Blick und lächelte. »Tatsächlich. Da kann ich also nun behaupten, ich hätte eine Nacht mit Jakob Roth verbracht.«
    Ich lachte heiser. »Naja, wenn das irgendwie erstrebenswert ist.«
    Katherine heftete den Blick fest auf mich. »Ich glaube schon.«
    Irgendetwas an der Art, wie sie mich ansah, war anders als bisher. Und es brachte mich aus dem Konzept. Ich räusperte mich erneut. »Hör mal Katherine, ich bin kein besonders gutes Objekt für psychologische Studien, auch wenn das vielleicht so wirken mag, ich …«
    Sie runzelte die Stirn. »Wer spricht denn von Studien?«
    »Ich wüsste nicht, was du sonst an mir interessant finden könntest. Außer dieser nervtötenden Fähigkeiten, die ich nun mal habe.«
    Katherines klare, blaue Augen funkelten amüsiert. »Du bist noch viel verkorkster, als ich befürchtet hatte.«
    Womit sie recht hatte. Eindeutig. Ich wollte etwas sagen, doch Katherine kam mir zuvor. Sie legte ihren Zeigefinger auf meine Lippen. »Scht.

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