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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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über den Raum. Doch der Ausdruck in Simons Gesicht zeigte deutlich, dass ich gewonnen hatte. Offensichtlich brauchten sie mich wirklich für diesen Fall, sonst hätte meine kleine Erpressung weitaus weniger Wirkung gezeigt.
    Simon zuckte resigniert mit den Schultern. »Also gut. Ich werde dafür sorgen, dass Ernesto Sanchez in Zukunft nicht mehr in die direkten Ermittlungen eingebunden ist. Das wird ihm nicht gefallen, denn dieser Fall scheint ihm sehr am Herzen zu liegen. Ich nehme an, er verspricht sich einen Schub für seine Karriere. Aber dann wird er sich ein wenig gedulden müssen.«
    Ich lächelte leicht. »Weißt du was? Jetzt bin ich mir sicher, dass du wirklich auf meiner Seite bist.«
    Ich glaubte den Hauch eines Lächelns auf Simons Zügen zu entdecken, aber noch bevor er etwas erwidern konnte, klopfte es an der Tür.
    »Herein«, sagte Simon laut.
    Die Tür öffnete sich und ich sah, dass Katherine vorsichtig ins Büro lugte. Sie war ein wenig außer Atem, ihr Brustkorb hob und senkte sich in schnellen Bewegungen. Als sie mich sah, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. »Jakob? Entschuldigung, dass ich störe. Aber es ist wichtig.«
    Ich erhob mich. »Katherine, was ist los?«
    Ich sah, wie ihr Blick zu Mirella hinüber wanderte und sich eine leichte Anspannung in ihre feinen Gesichtszüge schlich. »Mirella, ich wusste nicht, dass du auch hier … ich meine, ich wollte nicht …«
    »Was ist passiert?«, unterbrach ich sie, ging mit zwei schnellen Schritten zur Tür und ergriff wie aus einem Reflex heraus Katherines Hand. Sie fühlte sich kühl an und ich konnte merken, dass Katherine bei der Berührung kurz zusammenzuckte. Dann löste sie sich aus meinem Griff.
    »Ich habe etwas entdeckt, dass du dir ansehen solltest«, sagte sie leise, während ihre großen, blauen Augen sich ernst auf mich richteten. »In den Beelitz- Akten. Du wirst nicht glauben, was damals passiert ist.«
    Ich hob die Brauen. Mirella stand auf und stellte sich neben mich. Ich konnte die Anspannung auch in ihr wahrnehmen wie eine Vibration, die sich durch den Raum bewegte und in Wellen auf mich traf. »Wieso? Was ist denn genau passiert?«, fragte sie, ohne den Blick von Katherine abzuwenden.
    Katherine atmete tief durch. »Clara von Rieckhofen, das ist doch eure Leiche, oder?«, fragte sie.
    Ich nickte stumm.
    »Ich bin nochmal die Polizeiakten von 1911 durchgegangen«, fuhr Katherine fort. »Alles, was sich im Archiv dazu finden lässt. Clara von Rieckhofen verschwand spurlos im November 1911. Sie wurde als vermisst gemeldet. Aber nie gefunden. Bis jetzt.«
    *
    Mit einem ungewöhnlich lauten Knall fiel die Wohnungstür hinter mir zu. Für einen Augenblick hallte der plötzliche Lärm als Echo in meinem Nervensystem nach, dann legten sich die Wellen. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Tür und atmete tief durch. Ich musste vergessen haben, ein Fenster zu schließen, und Zugluft hatte die Tür so heftig herangezogen. Vielleicht das Fenster in der Küche.
    Ich brauchte einen Moment, bis sich mein rasendes Herz beruhigt hatte. Lächerlich, dass unerwarteter Lärm mir immer so zusetzte, aber der Knall der Tür hatte sich angehört wie ein Schuss. Und darauf reagierte ich nicht gut. Gar nicht gut. Vor allem nicht in dem völlig übernächtigten Zustand, in dem ich inzwischen war. Mir war leicht übel vor Müdigkeit und die Tatsache, dass Katherine in den Akten interessante Neuigkeiten entdeckt hatte, die meine Gedanken kreisen ließen, trug nicht gerade dazu bei, dass ich gut abschalten konnte.
    Ich bezweifelte, dass ich die dringend nötige Ruhe finden würde. Es lag ein leichtes Sirren in meinen Nerven, als würde ich unter Strom stehen. Zusammen mit der ungewöhnlichen Schreckhaftigkeit war das ein mehr als deutliches Zeichen dafür, dass ich Schlaf brauchte.
    »Nur eine Tür«, murmelte ich leise und senkte dazu die Hände, wie um mich selbst zu beschwichtigen. Nur eine harmlose Tür …
    Ich stieß mich von der Wand ab und schälte mich aus dem Mantel. Meine Gedanken wanderten in die unterschiedlichsten Richtungen. Ernesto Sanchez merkwürdiges Treffen in diesem Café in Mitte. Der Einbruch in der Pathologie, für den wir keine Erklärung fanden. Clara von Rieckhofens ungeklärtes Verschwinden im Jahr 1911. Und nicht zuletzt die Erinnerung an die letzte Nacht im Archiv. An Katherines Nähe, die mich verwirrt und irritiert hatte, und zugleich meinen Herzschlag beschleunigte, wie ich es seit langem nicht mehr erlebt hatte. Es

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