Die dunkle Seite des Weiß
Arsenit mitgehen lassen? Und was genau ist damit passiert?«
Manuel zögerte einen Moment, sein Blick wanderte aus dem Fenster ins Leere. Er schien einen inneren Kampf auszufechten. Und mir blieb nichts, als abzuwarten.
Schließlich nickte er knapp. »Ich kann nicht viel dazu sagen«, begann er langsam. »Von dem Mädchen wusste ich nichts. Wirklich nicht. Ich habe sie zum ersten Mal gesehen, als ich in den Keller gegangen bin.« Er schluckte schwer und blickte mich an. »War sie schon vorher da unten?«
»Möglich«, antwortete ich. Es war zu früh, um Manuel mehr zu verraten. Noch konnte ich nicht abschätzen, wie tief er wirklich in der Sache mit drin hing. »Also, weiter.«
Manuel atmete tief durch. »Ich habe die Mittel für jemanden besorgt. Übergabe war immer in den Heilstätten. Ich habe die Päckchen da abgelegt, an einem vereinbarten Platz. Aber ich habe den Auftraggeber niemals selbst zu Gesicht bekommen.«
Ich pfiff leise durch die Zähne. »Ein Auftraggeber? Interessant. Was hast du für deine Dienste gekriegt?«
Manuel zuckte mit den Schultern. »Naja, was schon. Geld.« Er hob unsicher den Blick. »Ich habe Schulden. Ne Menge. Onlinegames und naja, was man sonst noch so braucht, um Spaß zu haben. Meine Eltern haben keine Ahnung davon. Und als dann eines Tages dieser Brief kam …«
»Was für ein Brief?«
»Jemand hat mich angeschrieben. Er wüsste um meine Lage und würde mir gerne helfen wollen. Alles, was ich dafür tun müsste, wäre, hin und wieder ein paar Mittel aus der Apotheke auszuschleusen. Und ihm zu überlassen.«
Manuel nahm einen Schluck von seiner Cola. »Anfangs hat das überhaupt keiner mitgekriegt. Bei dem Kalium ohnehin nicht, das war kein Problem. Arsenit war tricky, wegen dem Giftschrank. Aber Unterlagen lassen sich fälschen.«
»Und du bist gut in sowas.«
Er zuckte resigniert mit den Schultern. »Offensichtlich nicht gut genug. Es ist ja rausgekommen.«
»Aber bisher weiß niemand, dass du es warst. Außer mir.«
»Richtig. Bisher.« Manuel richtete den Blick flehentlich auf mich. »Bitte, verraten Sie mich nicht! Ich bin so dermaßen am Arsch, wenn das rauskommt …«
Ich räusperte mich. Selbst jetzt, mit den neuen Informationen von Manuel, blieb die ganze Sache undurchsichtig. Clara von Rieckhofen hatte vor langer Zeit gelebt, wenn wir ihrem Tagebuch glauben konnten. Und doch war sie erst jetzt gestorben. Am Arsen? Es machte keinen Sinn. Denn nichts von all dem erklärte, weshalb eine junge Frau, die 1911 ein Tagebuch in den Beelitzer Heilstätten geschrieben hatte, nahezu ungealtert jetzt wieder auftauchte. Tot oder nicht. Trotzdem beschloss ich, den Druck auf Manuel zu erhöhen. Ich glaubte zwar nicht, dass Manuel absichtlich jemanden in Gefahr bringen wollte. Doch Arsen weiterzugeben, ohne auf den Gedanken zu kommen, dass jemand dieses Mittel missbrauchen könnte, war mehr als nur grob fahrlässig. Außerdem interessierte mich brennend, wer dieser ominöse Kontaktmann war.
Ich lehnte mich zurück und kreuzte die Arme vor der Brust. »Dir ist klar, dass vielleicht ein Mensch gestorben ist, weil du diese Mittel weitergegeben hast?«
Manuel rang die Hände. »Ich habe nicht drüber nachgedacht. Ich stand unter Druck. Ich wollte doch nur … diese Schulden … wenn ich das nicht zurückzahle, dann -« Er brach ab.
»Dann was?«
Er ließ die Schultern hängen. »Keine Ahnung. Die killen mich. Oder so.«
Ich hob eine Augenbraue. »Nicht wenn du ihnen ein bisschen Arsen unterjubelst.«
Manuel verzog die Mundwinkel. »Das ist nicht witzig.«
»Nein, das ist es wirklich nicht.« Ich erhob mich, zog einen Schein aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch. »Hier, zum Bezahlen der Getränke. Und wehe, du lässt den mitgehen und prellst die Zeche.«
Manuel schüttelte den Kopf. »Keine Sorge. Die kennen mich hier. Da kann ich das nicht bringen.«
Nein. Da konnte man sowas nicht bringen. Klar.
Ich legte meine Visitenkarte neben den Schein und nickte Manuel zu. »Falls du nochmal kontaktiert wirst, wegen der Lieferungen, gib mir Bescheid. Und ansonsten–halt dich aus dem Kram raus. Sofern das noch geht. Ich würde es nicht darauf anlegen, alles noch schlimmer zu machen.«
Manuel verzog die Mundwinkel. »Ich gebe mir Mühe.« Dann wandelte sich sein Gesichtsausdruck. »Ich hoffe, ich habe nichts kaputt gemacht …«
Ich horchte auf. »Was meinst du?«
»In der Pathologie.« Seine Stimme war jetzt so leise, dass ich seine Worte kaum verstehen konnte. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher