Die dunkle Seite des Weiß
machen, ja? Ist dir wohl doch nicht so egal, die Kleine …
Ich unterdrückte ein Fluchen. Was auch immer da zwischen mir und Katherine war, es musste schnellstens aufhören. So schnell, dass keiner von uns beiden auch nur auf die Idee kam, es hätte irgendetwas zu bedeuten. Denn das hatte es nicht.
Sie war zu jung für mich. Viel zu jung. Und dazu noch Psychologiestudentin. Um Himmels Willen, als hätte Mirella nicht gereicht!
Ich entkorkte den Wein, nahm zwei großbauchige Gläser aus dem Regal und pustete den Staub heraus. Anscheinend war es länger her, dass ich jemanden zum gemeinsamen Weintrinken hier gehabt hatte. Ich selbst trank Rotwein immer nur aus kleinen flachen Gläsern, die ich aus Spanien mitgebracht hatte. Die großen Weingläser fristeten währenddessen ein trauriges Dasein.
»Kann ich dir helfen?«
Ich drehte mich um und sah Katherine am Rahmen der Küchentür lehnen. Sie lächelte mir zu.
Ich grinste schief zurück und reichte ihr die Gläser. »Wenn du die mit ins Wohnzimmer nehmen könntest?«
Als Katherine mir die Gläser abnahm, berührten sich für einen kurzen Moment unsere Hände. Ich spürte ein merkwürdiges Prickeln auf der Haut. Ähnlich dem Gefühl, dass ich gehabt hatte, als wir uns im Archiv gegenüber gesessen hatten. Sanft zog ich die Hand zurück, drehte mich wortlos um und griff nach der Weinflasche.
»Hades hat mich geschickt«, sagte Katherine, wie um das unangenehme Schweigen zu brechen.
Ich hob die Brauen. »Mitten in der Nacht? Das ist mal wieder typisch.«
»Nein«, gab Katherine lachend zu. »Ich sollte dir die Infos eigentlich am Montag geben. Aber ich dachte, es wäre wichtig und außerdem …« Sie errötete leicht, dann hob sie entschlossen das Kinn. »Außerdem wollte ich dich sehen.«
»Aha.«
»Ja.«
Sekundenlang standen wir voreinander und blickten uns an. Aus dem Hinterhof erklang das raue Bellen eines Hundes.
»Und … was ist diese wichtige Neuigkeit, die Hades mich wissen lassen will?«, fragte ich schließlich.
Katherine schluckte und rang sich ein Lächeln ab. »Es geht um diese Blume. Die Lilie«, sagte sie dann.
Ich horchte auf. »Gibt es schon Ergebnisse? Das ging aber schnell.«
Katherine nickte. »Das Labor hat die Bestandteile analysiert. Hades hat einen Freund von sich angerufen, der Botaniker ist, und ihm die Daten rüber gemailt. Der allerdings war dann ganz aus dem Häuschen.«
Ich stellte die Weinflasche wieder ab und runzelte die Stirn. »Und warum, bitteschön?«
Katherine blickte mir fest in die Augen. »Weil es diese Blumenart seit fast 100 Jahren nicht mehr gibt.«
*
Wir saßen gemeinsam auf dem Sofa, die noch leeren Weingläser vor uns auf dem Tisch. Draußen hatte es zu schneien begonnen. Ein Schneesturm mitten im April. Man konnte sehen, wie die weißen Flocken im Licht der Straßenlaternen vor dem Fenster vorbeiwirbelten, aufstoben und wieder nach unten sanken. Der Sturm machte meine Wohnung zu einem geschützten Kokon. Nur was sich hier entwickelte, hing noch diffus in der Schwebe …
»Hier, siehst du?« Katherine zog ein schmales Buch mit Pflanzenabbildungen aus ihrer Tasche und schlug es auf. »Hier ist sie. Das ‚Weiße Gold‘. Eine Unterform der Osterlilie oder botanisch Lilium longiflorum.« Katherine richtete sich auf. »Ich habe ein wenig recherchiert, Lilium longiflorum ist noch heute eine der bekanntesten und beliebtesten Lilienarten überhaupt. Aber diese Unterart war schon damals sehr selten. Und wie gesagt, heute ist sie ausgestorben.«
Ich konnte kaum glauben, was ich gerade gehört hatte. Nicht nur die Leiche war aus einer längst vergangenen Zeit, auch die Blumen, die sie umgeben hatten, waren es? Aber wie konnte all das so lange Bestand gehabt haben, ohne zu verwesen? Nichts war konserviert worden und doch hatte es sich in unsere Zeit hinübergerettet, als wären 100 Jahre gar nichts. Ich betrachtete das Bild der Blume.
»Was sagt uns denn, dass es tatsächlich genau diese Pflanze ist? Für mich sehen Lilien irgendwie alle gleich aus.«
Katherine lächelte. »Wie schön, dass es Labore gibt, oder? Das ‚Weiße Gold‘ hatte eine Besonderheit an sich. Die Pflanze enthielt spezifische Alkaloide, nicht nur in der Zwiebel, sondern vor allem in den Blüten. Sie ist giftig.«
»Alkaloide?« Ich starrte Katherine an. »Aber das ist ja …«
»Genau«, sagte sie leise. »Es scheint der Stoff zu sein, den Hades bisher in den Leichen gefunden hat. Allerdings stimmt er nicht genau überein. Bei Clara
Weitere Kostenlose Bücher