Die dunkle Seite des Weiß
immer?«
Katherine schüttelte den Kopf. »Nein, anscheinend nicht. Die Familie von Rieckhofen war nicht sonderlich mit Glück gesegnet, wie es aussieht. Die letzte Familienangehörige starb 1944 während eines Bombenangriffs auf Berlin. Sie war wohl eine Cousine von Clara.«
Ich nickte stumm. Keine Nachfahren. Niemand, der vielleicht noch etwas beitragen konnte, und sei es nur aus Erinnerungen, die innerhalb von Familien wie selbstverständlich weitergetragen und bewahrt werden.
Ich riss mich von den Gedanken los und blickte zu Katherine hinüber. »Und? Wein? Inzwischen dürfte er genug geatmet haben.«
Katherine nickte lächelnd. »Gerne.«
Ich schenkte ein, hob mein Glas und prostete Katherine zu. »Auf eine beeindruckende Frau, die mir diese Neuigkeiten nicht bis Montag vorenthalten wollte und sich deshalb durch Eis und Schnee zu mir nach Hause kämpfte.«
Katherines Wangen färbten sich dunkelrot. Sie griff nach ihrem Glas, ließ es sanft gegen meines klingen und setzte es dann an die Lippen.
»Gern geschehen«, murmelte sie kaum hörbar.
Während wir tranken, hingen unsere Blicke aneinander. Dann stellte Katherine ihr Glas wieder ab und atmete tief durch.
»Wir müssen aufpassen, oder?«, sagte sie schließlich leise.
Ich hob die Brauen. »Was meinst du?«
Sie legte den Kopf schräg. »Das weißt du genau.« Sie nahm mir das Glas ab, stellte es zur Seite und rückte auf dem Sofa ein Stück näher an mich heran. »Das zwischen uns«, sagte sie, ohne den Blick von mir abzuwenden. »Ich schätze, es könnte gefährlich werden.«
Ich fiel in das funkelnde Blau ihrer Augen, sah, dass Katherines Lippen leicht zitterten, und spürte ihren warmen Atem auf meiner Wange. Ohne nachzudenken legte ich Katherine meine Hand in den Nacken und zog sie sanft zu mir heran. Ihre Lippen samtig auf meinen. Ein süßes Gefühl durchströmte mich, während Katherine sich mit einem leisen Seufzen in meine Umarmung hinein sinken ließ. Ihre Haare strichen wie Seide über meinen Hals. Die Zeit schien stillzustehen, während unser Kuss tiefer wurde, inniger. Ich wollte nicht denken. Mir nicht klarmachen, dass es Wahnsinn war, etwas mit Katherine anzufangen. In diesem Moment kam es mir vor, als böte sich eine Tür. Eine echte Chance hindurchzugehen und Mirella hinter mir zu lassen, für immer. So wie sie mich hinter sich gelassen hatte.
Ich ließ meine Hände über Katherines Hals wandern, zur zarten Haut über dem Schlüsselbein und dann weiter hinunter über die weiche Rundung ihrer Brüste. Unsere Lippen lösten sich voneinander und für Bruchteile einer Sekunde, die mir wie eine Ewigkeit erschienen, begegneten sich unsere Blicke. Es war lange her, dass mich eine Frau mit einem solchen Glühen in den Augen angesehen hatte.
Mein Denken schaltete sich aus. Alles, woran ich mich erinnere, ist Katherines samtige Haut, ihr Duft nach Zitrone und einem Hauch Zeder, ihr weiches Haar zwischen meinen Fingern. Und das elektrisierende Gefühl, als sie sich mir entgegen drängte. Die Nacht verschwamm in einem Strudel aus Berührungen. Ich war glücklich wie lange nicht mehr. Und in diesem Moment hätte ich sterben wollen.
*
Am nächsten Morgen hatte der Schneesturm die ganze Stadt mit einem weißen Teppich aus Stille überzogen. Ich erwachte mit dem Geruch von Schnee in der Nase und der Erinnerung an Katherines Küsse auf meinen Lippen. Verschlafen blinzelte ich in die Morgendämmerung und brauchte einen Moment, bis meine Gedanken sich klärten – und die letzte Nacht sich wieder vor mir ausbreitete.
Mein Herzschlag beschleunigte sich unwillkürlich und ich wandte den Blick nach rechts. Das Bett neben mir war leer. Nur die Spur achtlos auf den Boden geworfener Kleidung, die sich vom Wohnzimmer bis zum Bett zog, bestätigte mir, dass ich all das nicht nur geträumt hatte.
Ich lehnte mich vor und angelte Katherines BH, der direkt neben dem Bett lag, vom Boden. Für einen winzigen Moment vergrub ich meine Nase in dem feinen Gespinst aus schwarzer Spitze. Da war er wieder, der zarte, fast unauffällige Duft nach Zitrone und Zeder. Und mit ihm die Erinnerung an Katherines samtige Haut, an ihre Berührungen und an das Glühen, das uns beide in der letzten Nacht verbunden hatte.
Seufzend ließ ich das Dessous aus den Fingern gleiten und zog mir die Bettdecke über den Kopf, um das fahle Morgenlicht auszuschließen. Ich war ein solcher Idiot! Das hätte niemals zwischen uns passieren dürfen, denn es machte alles nur noch viel
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