Die dunkle Seite des Weiß
komplizierter, als es ohnehin schon war.
Ich hörte, wie Katherine im Badezimmer die Dusche anstellte und dann leise zu singen begann. Fieberhaft kreisten meine Gedanken. Wie sollte ich ihr nur beibringen, dass zwischen uns nichts sein konnte. Nichts sein würde.
Katherine war wirklich der letzte Mensch auf dieser Erde, dem ich wehtun wollte. Schließlich war sie so gut wie der letzte Mensch auf der Erde, der mich zu mögen schien. Sie war intelligent, witzig – und verdammt attraktiv. Es wäre eine glatte Lüge zu behaupten, dass ich mich nicht zu ihr hingezogen fühlte. Und doch fühlte sich all das hier an wie ein riesiger Fehler.
Warum eigentlich?, drang ein fast unhörbares Stimmchen in meine Gedanken ein. Wieso erscheint es dir so vollkommen abwegig, etwas mit ihr anzufangen? Ihr hattet eine tolle Nacht, Katherine ist eine tolle Frau … Wieso gibst du dem Ganzen nicht einfach eine Chance?
Ich wusste, warum. Auch, wenn ich es mir lieber nicht eingestanden hätte.
Als die Unruhe der Gedanken übermächtig wurde, stieg ich aus dem Bett und streckte mich. Kaffee. Jetzt.
Im Spiegel sah ich, dass ein Teil meines Oberkörpers sich inzwischen bläulich verfärbt hatte. Ernestos kleines Andenken. Doch der Schmerz hielt sich in Grenzen. Ich hatte ihn ja auch in der letzten Nacht nicht wahrgenommen. Was wahrscheinlich an der Unmenge an Endorphinen lag, die mich geflutet hatten. War das ein gutes Zeichen? War Katherine gut für mich?
In Boxershorts und T-Shirt tappte ich in die Küche und stellte die Kaffeemaschine an. Der Blick aus dem Fenster in den Hinterhof war atemberaubend. Nie hatte ich eine solche Menge Schnee im April erlebt. Schon in dieser Hinsicht war es ein Morgen, den ich nicht so schnell vergessen würde.
Als ich im Kühlschrank nach etwas Essbarem suchte, klingelte es. Ich blinzelte irritiert. Es war Samstag. Wer tauchte samstagmorgens unangemeldet bei mir auf?
Erneutes Klingeln. Wer auch immer es war, er musste bereits direkt vor meiner Wohnungstür stehen, denn die Klingel unten am Haus hörte sich anders an. Wahrscheinlich war es Emilie, die irgendetwas brauchte, Milch oder Zucker oder irgendwen zum Reden.
Ich schlurfte gähnend durch den Flur, öffnete und zuckte im gleichen Moment überrascht zusammen.
»Hallo Jakob«, sagte Mirella und hielt lächelnd eine Tüte mit Brötchen hoch. Der frische Geruch nach Gebäck drang mir in die Nase. »Lust auf Frühstück?«
»Mirella!« Für einen Moment suchte ich nach Worten. Was zur Hölle tat sie hier? Sie hätte sich keinen unpassenderen Morgen aussuchen können.
»Ich liebe es, wenn dir vor Überraschung das Gesicht entgleist.« Grinsend schob sie sich an mir vorbei in die Wohnung. »Ich dachte, wir beide könnten in Ruhe besprechen, wie wir jetzt bezüglich Clara weiter vorgehen.« Sie schnupperte kurz. »Super, es riecht schon nach Kaffee. Dann komme ich ja genau richtig.«
Ich schloss die Tür und merkte, wie sich ein flaues Gefühl unaufhaltsam in meinem Magen ausbreitete. Mirella ging ins Wohnzimmer und blieb nach einigen Schritten abrupt stehen. Ich sah, wie ihr Blick sich auf Katherines Mantel geheftet hatte, der noch immer über der Lehne des Sessels hing. Und dann weiterwanderte über die eindeutige Spur von T-Shirts, meiner Jeans und Katherines violettem Kleid, die in Richtung Schlafzimmer führte.
»Du hast Besuch?«
In diesem Moment kam Katherine aus dem Bad. Das weite T-Shirt, das ich ihr zum Schlafen geliehen hatte, reichte ihr bis zu den Oberschenkeln. Ansonsten war sie nackt. Eine Strähne ihres noch nassen Haares fiel ihr in die Stirn. Als sie Mirella erblickte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Jede Farbe wich aus ihrem Gesicht.
»Mirella«, sagte sie leise.
Mirella straffte sich. »Guten Morgen, Katherine. Das ist ja wirklich eine … Überraschung.« Ihre Stimme war so förmlich, dass mir ein Frösteln über den Rücken lief. Sie drehte sich halb zu mir um. »Entschuldigt, dass ich das Idyll störe. Ich wusste nicht, dass ihr beide was miteinander habt.« Sie legte die Brötchentüte betont ordentlich auf dem Tisch ab, drehte sich um und ging zurück zur Tür. »Schönes Wochenende!«
»Mirella!« Eine leichte Panik breitete sich in mir aus. Ich konnte sie doch nicht gehen lassen, jetzt, in dem Glauben, dass Katherine und ich -
»Lass gut sein«, sagte sie leise, als ich sie an der Wohnungstür einholte. Ihr Blick war nicht zu deuten. »Die Zeit ist eben doch nicht stehengeblieben. Du hast Katherine, ich habe
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