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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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passierten Oliver und ich die leeren Flure der Akademie.
    »Man wagt ja kaum zu atmen«, flüsterte er mir zu.
    Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Und du arbeitest nicht mal für den Laden. Du hast keine Vorstellung, wie beklemmend es ist dazuzugehören …«
    Ernesto Sanchez’ Büro lag im 11. Stock des Turmes, der zum Areal gehörte. Innere Abteilung. Ich war nie dort oben gewesen und hatte keine Ahnung, ob wir es auch nur in die Nähe seines Zimmers schaffen würden. Wurden innere Abteilungen nicht für gewöhnlich gesichert? Mit Passwörtern, Sicherheitsschleusen, Todesstreifen?
    »Wenn irgendetwas schiefläuft«, flüsterte ich Oliver zu, als wir mit dem Fahrstuhl langsam zum 11. Stock hinauf schwebten, »dann denk nicht nach. Warte nicht auf mich. Lauf einfach, ja? Lauf.«
    »Sehr beruhigend«, murmelte mein Heilpraktiker mit heiserer Stimme, doch ich konnte deutlich wahrnehmen, dass ihn die Situation zugleich erregte. Eine Erkenntnis, die mich ein wenig überraschte. Oliver Menke schien interessante Facetten hinter seiner gelassenen Fassade zu verbergen. Er war ein Spieler. Einer, der Aufregung suchte und Nervenkitzel genießen konnte. Wer hätte das gedacht. Willkommen in meinem Leben, dachte ich mit einem Hauch von Zynismus. Nun würde sich zeigen, ob er die für unsere Freundschaft nötigen Nerven mitbrachte.
    Das Licht in der 11. Etage hatte einen kühlen Blaustich und ließ mich frösteln. Oliver und ich passierten mehrere Flure und Foyers ohne Probleme. Weit und breit war niemand zu sehen. Und es war genau diese einsame Stille, die die innere Abteilung so beklemmend machte.
    Ich hätte es wissen müssen. Es gehört zu den merkwürdig unerklärlichen Dingen der Akademie, dass es immer anders kommt, als man erwartet. Keine Wachposten, keine Selbstschussanlagen, keine Sicherheitsschleusen. Nichts am Sicherheitssystem der Inneren Abteilung war anders als in den Etagen und Sälen weiter unten. Unverständlich für mich, wenn man bedachte, wie speziell diese Sektion war, wenn man den Gerüchten glauben wollte. Und ein Vorteil für uns, denn wir gelangten ohne Probleme zu Raum 11.74. Ernesto Sanchez’ Büro.
    Der Raum empfing uns mit der sterilen Kühle einer distanzierten Persönlichkeit. Ich knipste eine kleine Lampe auf einem Wandregal an und dimmte sie so weit wie möglich herunter. Dann ließ ich den Blick umherschweifen. Der Schreibtisch war penibel aufgeräumt, ebenso der Rest des Zimmers. Man hätte glauben können, das Büro wäre unbesetzt, hätte sich nicht auf einem kleinen Schrank an der Wand eine Sammlung silberner Pokale in vollem Glanz präsentiert. Ich musterte sie widerwillig. Tennis. Segeln. Fünfkampf. Ernesto Sanchez war alles, was ich nicht war. Und auch gar nicht sein wollte. Aber irgendetwas musste Mirella an ihm finden. Was nur?
    »Wonach suchen wir eigentlich?« Olivers Stimme durchschnitt das Dämmerlicht des Raumes wie ein Pfeil.
    Ich drehte mich zu ihm um und sah, dass er am Schreibtisch lehnte, die Hände lässig in den Taschen seiner Jeans.
    Ein amüsiertes Funkeln lag in seinen Augen. »Na, wenn ich meine Nase schon in fremde Angelegenheiten stecke, um dir beizustehen, dann will ich auch wissen, nach was ich schnuppern soll.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ganz ehrlich? Keine Ahnung. Irgendwas, dass dir seltsam erscheint.«
    Oliver hob zweifelnd die Brauen. »Du erwartest, dass ich in einer Akademie für paranormale Künste etwas finde, das mir seltsam erscheint? Du meine Güte, Jakob …« Er schnaubte leise und ich war nicht sicher, ob es ein Lachen oder eher Resignation war. »Da könnte ich wahrscheinlich alles hier mitnehmen.«
    »Dann mach das«, entgegnete ich knapp, ging zum Schreibtisch hinüber und versuchte, die Schubladen zu öffnen. »Abgeschlossen. Natürlich.«
    Oliver kniete sich neben mich und begutachtete das Schloss. »Oh, das ist leicht.«
    Er griff in die Hosentasche und zog ein Schweizer Taschenmesser hervor. Es dauerte keine zehn Sekunden und das Schloss gab mit einem leichten Klicken den Weg zum Inhalt der Schublade frei.
    »Falls die Praxis mal den Bach runtergeht, böte sich ein neues Standbein als Safeknacker an«, raunte ich und sah aus den Augenwinkeln, wie Olivers Mundwinkel amüsiert zuckten.
    »Ich bin eben ein Mann mit vielfältigen Talenten.«
    »Offensichtlich.«
    Ich spürte Olivers Blick mit irritierender Präsenz auf mir. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass in seiner Aura etwas lag, das ich nicht einordnen konnte. Nichts,

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