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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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hatte. Es war, als hätten wir in der letzten Nacht eine stumme Absprache getroffen. Und als hätte es die vielen Jahre ohne Kontakt nie gegeben.
    »Wie geht es dir?«, fragte ich, als ich ihr schließlich in der Küche gegenüberstand.
    Sie lehnte mit dem Rücken am Kühlschrank, die Hände vor der Brust verschränkt, und trug noch immer eine Jogginghose und ein altes Sweatshirt. Ich sah, wie sie leicht die Mundwinkel verzog. »Ich habe blendend geschlafen. Glaube ich. Wie eine Tote. Was wahrscheinlich daran lag, dass jemand die Monster von meinem Bett ferngehalten hat.« Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Danke nochmal.«
    »Gern geschehen.« Ich straffte mich. »Aber ich musste auch wirklich vollen Einsatz bringen. Es waren scheußliche, große und furchterregende Monster.«
    Mirellas Blick wurde leer. »Ja, daran zweifle ich nicht.«
    Irgendetwas in ihrem Gesichtsausdruck schnürte mir die Kehle zu. »Ich weiß zu gut, wie das ist. Wenn man nachts nicht schlafen kann. Wegen der Monster.«
    Mirella lächelte traurig. Eine Locke fiel ihr weich ins Gesicht, als sie tief durchatmete. Sie strich sie mit einer nachlässigen Bewegung hinter das Ohr. »Neuer Tag, neues Glück.«
    »Gute Einstellung«, sagte ich. »Vor allem, weil wir uns heute unbedingt KehPharma vorknöpfen sollten. Der Laden schreit ja regelrecht nach einem Besuch. Ich habe die Adresse schon rausgesucht, der Firmensitz ist in Charlottenburg.«
    Mirella nickte und stieß sich vom Kühlschrank ab. »Gibt mir ne halbe Stunde, okay? Dann können wir los.«
    Die Situation erinnerte merkwürdig an die letzte Nacht. Das Rauschen der Dusche aus dem Badezimmer und ich, wieder wartend, auf Mirellas Couch.
    »Darf ich mal an dein Laptop?«, brüllte ich quer durch die Wohnung, als das Rauschen der Dusche kurz von Stille abgelöst wurde.
    »Ja, klar. Liegt auf dem Schreibtisch«, hallte Mirellas Stimme aus dem Badezimmer zurück.
    Ich schnappte mir den Computer und setzte mich damit aufs Sofa. Einige Klicks genügten, um in der Chronik die Seite von KehPharma wiederzufinden. Es konnte nicht schaden, sich noch ein wenig mit der Firmenhistorie zu befassen. Vielleicht gab es ja doch irgendeinen Hinweis darauf, dass die Firma sich mit Tuberkulose beschäftigte.
    Ich klickte mich durch die einzelnen Abschnitte, lernte das Unternehmenskonzept kennen – von Menschen für Menschen, flexibel, nachhaltig, souverän –, erfuhr, dass der Begründer Erwin Kehrer Ende des 19. Jahrhunderts in einem Weddinger Hinterhof mit seiner Arbeit begonnen hatte, und bekam einen Überblick über die verschiedenen Schmerzmittel, die das Unternehmen entwickelt hatte und nun weltweit vertrieb. KehPharma engagierte sich im Rahmen einer Stiftung für die Verteilung von Impfstoffen in Afrika und unterstützte den Bau von Trinkwasseraufbereitungsanlagen in Krisengebieten. Eine Vorzeigefirma, die Forschung und soziales Engagement zusammenzubringen schien. Und nirgends ein Hinweis auf TBC.
    Ich kehrte auf die Startseite zurück. Mein Blick blieb an einem Feld hängen, das mit »Internes« betitelt war. Es war nicht neu, dass Firmen ihren Mitarbeitern über solche Zugänge die Möglichkeit boten, von überall auf der Welt auf relevante Daten zuzugreifen. Man brauchte dafür nur ein Passwort. Das richtige Passwort. Ich seufzte. Ein weiteres Déjà-vu. Doch so einfach wie in Ernestos Büro würde es nicht werden. Man konnte Passwörter erahnen, wenn man Menschen kannte. Und Glück hatte. Und ich hatte zweifellos Glück gehabt, als ich mit Oliver vor Ernestos Rechner saß und die Zeit ablief. Aber so, ganz ohne Anhaltspunkt, war es so gut wie unmöglich. Obwohl …. ich runzelte die Stirn. Was, wenn Ernesto tatsächlich Geschäfte mit KehPharma gemacht hatte? Auch wenn er bestritt, heute noch Kontakte zu haben – konnte ich davon ausgehen, dass er die Wahrheit sagte?
    Einen Versuch war es wert.
    Mit zitternden Fingern klickte ich auf den Link, der mich zur Passworteingabe weiterleitete. »Mi corazón«, murmelte ich, während ich die Worte eingab. Dann hielt ich die Luft an und drückte auf Enter.
    Error. Falsches Passwort.
    Verflucht … aber es wäre auch zu schön gewesen. Eine ebenso einfache wie effektive Möglichkeit, Ernesto zu überführen und seine Seilschaften mit KehPharma zu bestätigen. Doch so simpel war die Welt eben nicht gestrickt.
    Während ich auf den blinkenden Cursor im Eingabefeld starrte, fühlte ich plötzlich einen kühlen Hauch in meinem Nacken. Ich merkte, wie sich

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