Die dunkle Seite des Weiß
die Härchen an meinen Armen aufstellten, und drehte vorsichtig den Kopf zur Seite. Da. Neben mir.
Es war die Gestalt einer jungen Frau in einem weißen Kleid. Ich sah sie leicht verschwommen, wie irisierend. Clara.
Sie blickte mich an und ihre Augen waren von einer solchen Dringlichkeit erfüllt, dass ich mich kaum von ihrem Blick losreißen konnte. Sie sah mich. Und sie wusste, dass ich sie ebenfalls sehen konnte. Sie kam lautlos einige Schritte auf mich zu, streckte die Hand aus und legte sie sanft an meine Wange. Ein eisiger Schauer lief mir über die Haut, als sie mich berührte. Ein feines Lächeln huschte über die blassen Lippen des Geistes und sie nickte stumm. Dann war sie von einem Moment auf den anderen verschwunden.
Ich fühlte mich, als würde ich aus einem Bottich Eiswasser wieder auftauchen. Ich atmete tief durch und merkte, dass ich am ganzen Körper zitterte. Langsam schmolz die Kälte, löste sich von meiner Haut und ließ ein befremdliches Gefühl von Wärme zurück.
Warum war Clara hier aufgetaucht? Es konnte kein Zufall gewesen sein. Ich richtete meinen Blick wieder auf den blinkenden Cursor. Und plötzlich wusste ich, was zu tun war.
Mit zitternden Fingern begann ich zu tippen.
Clara
Enter.
Zugang gestattet. Willkommen bei KehPharma.
Fassungslos starrte ich auf die Seite, die sich öffnete. Mein Herz überschlug sich. Irgendjemand, ich wusste nicht wer, hatte Claras Namen benutzt, um sich bei KehPharma einen Account einzurichten. Wer konnte das sein? Ernesto?
Vielleicht.
Oder jeder beliebige andere Mensch auf dieser Welt, der etwas über Clara und ihren Tod wusste. Jeder, der die alten Behandlungsunterlagen gefunden und gelesen hatte. Und der vielleicht viel mehr wusste als wir, die wir versuchten, diesen Fall zu entschlüsseln. Eins war sicher: Clara selbst hatte mir diese Information geschickt. Es schien, als würde auch sie wollen, dass die Wahrheit endlich ans Licht kam. Ich musste dahinterkommen. Ich musste herausfinden, was damals geschehen war. Und was Clara von Rieckhofens Geschichte mit den heutigen Todesfällen zu tun hatte.
Die Laptops der Akademie verfügten über eine Suchfunktion, mit der man Passwörter zurückverfolgen konnte. Mit etwas Glück fand das System die Orte, von denen aus sich jemand Zugang zum internen Bereich von KehPharma verschafft hatte. Vielleicht würde uns das Rückschlüsse darüber erlauben, wer der Benutzer dieses Passwortes war. Ich klickte auf das kleine Lupensymbol unten im Menü und beobachtete gespannt, wie die Lupe langsam zu blinken begann. Das Programm hatte sich auf die Suche gemacht.
Es klingelte. Ich zuckte kurz zusammen und klickte das Suchprogramm in den Hintergrund. Es musste nicht jeder sofort mitbekommen, was ich gerade versuchte. Dann stellte ich das Laptop auf den Tisch und ging zur Tür. Beim Blick durch den Spion zog ich überrascht den Atem ein. Draußen stand Ernesto. Im Arm einen riesigen Strauß langstieliger, roter Rosen.
»Mirella?«, hörte ich ihn sagen. »Mirella, bitte, lass mich rein. Lass mich dir alles erklären. Ich weiß, dass du zuhause bist. Gib mir eine Chance.«
Ich öffnete wortlos die Tür und trat Ernesto entgegen. Seine Gesichtszüge entgleisten, als er mich erblickte.
»Ihnen eine Chance geben?«, sagte ich betont höflich. »Warum um alles in der Welt sollte sie das tun?«
Ernestos Miene verfinsterte sich. Er ließ die Rosen sinken. »Wo ist Mirella?« Er versuchte, sich an mir vorbei in die Wohnung zu drängen, doch ich versperrte ihm den Weg.
»Sie duscht«, sagte ich leise, wohlwissend, welchen Eindruck das auf ihn machen musste. Da war ich, der Exmann, am späten Vormittag in Mirellas Wohnung. Und Mirella unter der Dusche. Was sollte jemand wie Ernesto da schon denken?
Fast hätte ich gelacht, so sehr erinnerte mich die Situation an den Morgen mit Katherine und Mirella in meiner Wohnung. Auch da hatte ich die Tür geöffnet. Nur unter vollkommen anderen Vorzeichen.
»Ich möchte mit ihr reden. Lassen Sie mich durch.« Ernestos Stimme hatte einen spröden Klang angenommen, wie unter Druck gesetztes Metall.
»Bedaure. Ganz schlechter Zeitpunkt«, entgegnete ich ruhig.
Ernestos Blick wurde mörderisch. Ich konnte fühlen, wie nah er daran war, mir an die Gurgel zu gehen. Doch ich hielt seinem Blick stand.
»Wenn Sie klug sind«, sagte ich leise, »dann hören Sie jetzt auf mich und geben Mirella ein wenig Zeit. Und wenn Sie wirklich klug sind, dann erklären Sie mir, was Sie mit der ganzen
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