Die dunkle Seite des Weiß
sich auf, schwankte leicht und presste sich den Ärmel gegen das Gesicht, um das pulsierend aus der Nase hervorquellende Blut zu stoppen. Ich sah seinen entsetzten Blick, sah die Angst in seinen Augen und bekam eine Ahnung davon, wie furchterregend ich in diesem Moment wirken musste. Wahrscheinlich hatte er niemals damit gerechnet, dass ich so brutal zuschlagen könnte. Und auch ich selbst hatte von dieser in mir schlummernden Seite nichts geahnt. Aber ich fühlte kein Bedauern. Im Gegenteil. Es war ein wilder, animalischer Triumph, der jede einzelne Faser meines Körpers erfüllte. Und nur mit Mühe konnte ich mich davor zurückhalten, erneut zuzuschlagen.
Ich sah, wie Ernesto die beiden Stockwerke hinunter hastete. Hörte das knarrende Schließen der Tür. Und dann die Stille.
Vollkommen ruhig sammelte ich die blutroten Rosen zu meinen Füßen ein und steckte sie zu einem ordentlichen Strauß zusammen. Das Pochen in meiner Faust wurde stärker mit jedem Atemzug. Der Nachhall meiner Rache.
Ich schloss die Tür auf und betrat Mirellas Wohnung, während die widersprüchlichsten Empfindungen in mir kämpften. Hass und Trauer, Ekstase und Entsetzen. Ich hatte immer geahnt, damals heimtückisch ausgebootet worden zu sein. Doch dass Ernesto die Drähte gezogen hatte, dass ich zu seiner Marionette geworden war, ohne es auch nur zu ahnen – diese Erkenntnis hatte mich vollkommen überrumpelt.
Mirella kam aus dem Bad, als ich gerade den Schlüssel zurück aufs Regal legte. Sie musterte mich erstaunt. »Ich habe mich schon gefragt, warum es so ruhig ist.« Ihr Blick wanderte zu den Rosen und ein irritiertes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Und was soll das jetzt werden?«
Ich grinste schief. »Für dich. Ich stell die mal ins Wasser.«
Damit drehte ich mich um, ließ die verblüffte Mirella im Flur stehen und ging auf der Suche nach einer Vase in die Küche.
*
Als wir aus dem Hauseingang traten, fiel Mirellas Blick auf einen dunkelgrünen Jaguar, der nur wenige Meter entfernt in einer Parkbucht stand. Abrupt blieb sie stehen.
»Das ist Ernestos Wagen«, sagte sie. »Was macht der denn hier?«
Ich blickte mich suchend um, doch von Ernesto war weit und breit nichts zu sehen. Wahrscheinlich hat er sich ein Taxi genommen, aus Angst, die edlen Lederpolster vollzubluten, dachte ich und unterdrückte nur mit Mühe ein Grinsen. Es tat mir nicht leid, dass ich ihm das Nasenbein gebrochen hatte. Schade dass es nicht auch noch das Jochbein erwischt hatte.
»Umso besser, dann muss ich wenigstens keinen wildfremden Wagen kurzschließen«, sagte ich, einer plötzlichen Idee folgend.
Ich fasste Mirella an der Hand und zog sie mit mir. Zielstrebig steuerte ich auf den Jaguar zu und fischte noch im Gehen einen feinen Draht aus der Innentasche meines Mantels. Dieser hatte mir schon oft wertvolle Dienste geleistet und würde es auch heute wieder tun. Es war eine Sache von Sekunden. Der Draht fand seinen Weg, es klickte – und die Autotür sprang auf.
»Was machst du denn da?« Mirella starrte mich fassungslos an.
»Ich sorge für eine komfortable Fahrt. Nimm‘s mir nicht übel, aber ich bin ein Mann. Und wenn ich die Wahl habe zwischen deinem Jetta, bei dem mir bei jedem Schlagloch die Knie sämtliche Zähne auszuschlagen drohen, und diesem Schätzchen hier, dann ist die Wahl klar.« Ich zwinkerte ihr zu. »Nicht mal eine Alarmanlage. Und das hier in Kreuzberg. Ernesto kann froh sein, dass nur wir es sind.«
In Mirellas Blick war ein amüsiertes Funkeln getreten. »Und nicht jemand, der ihm den Wagen direkt unterm Hintern anzündet.«
Offensichtlich fand sie Gefallen daran, Ernestos Auto für unsere kleine Dienstfahrt zweckzuentfremden. Ein Detail, das ich mit einer gewissen Erleichterung registrierte. Je weniger sie ihr Herz an diesen Schnösel gehängt hatte, desto leichter würde sie die Enttarnung seiner Fassade verkraften. Zumindest hoffte ich das.
Ich schwang mich auf den Fahrersitz und öffnete ihr die Beifahrertür. »Voila, bitte einsteigen und anschnallen, es könnte rasant werden.«
Mirella lachte auf. »Rasant? Du? Mir scheint, ich habe einiges an Entwicklungen verpasst.«
»Falsch«, erwiderte ich, während ich mit geübten Fingern die Zündung kurzschloss. »Du hast meine finsteren Seiten nur verdrängt.«
Ich spürte Mirellas Blick auf mir, doch ich ignorierte ihn und fuhr los. Ich hatte noch in der Wohnung beschlossen, ihr zunächst nichts von meiner Aussprache mit Ernesto zu erzählen. Sie würde
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