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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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Dieser Teil ist nur sediert, Jakob. Runtergefahren. Aber er ist da.« Die letzten Worte waren nur noch ein Flüstern.
    Mir lief ein Schauer über die Haut. »Heißt das, du willst dich diesem Teil ganz bewusst stellen?«
    Mirella nickte und ich sah, dass ihre Augen plötzlich feucht schimmerten. »Ich glaube, ich muss das. Ich habe es viel zu lange vor mir hergeschoben.« Sie blickte auf. »Kannst du das nachvollziehen?«
    Ich musterte sie prüfend und überlegte einen Moment. Doch, ich konnte es nachvollziehen. Irgendwie. Aber mir war ebenso bewusst, was für ein Wagnis es war.
    Ich merkte, dass Mirellas Blick fast ängstlich auf mir lag, und nickte schließlich. »Ja, ich glaube schon. Aber bist du dir sicher, dass es das wert ist? Wenn das in der Akademie die Runde macht, ist deine Karriere beendet.«
    Mirella lachte heiser. »Na und? Du hast es ja auch geschafft, ohne die Akademie zu leben.«
    Ich spürte einen Kloß in meinem Hals. »Richtig. Ich habe es geschafft. Aber es ist keine besonders gute Zeit gewesen«, entgegnete ich. »Mirella, für Menschen wie uns gibt es wahrscheinlich keinen besseren Ort als die Akademie. Mir gefällt das nicht immer, weil ich nicht mit allem einverstanden bin, was in der Akademie vor sich geht. Aber es ist eine Chance. Eine Möglichkeit, die wir sonst nicht haben.«
    Mirella zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wird ja alles gar nicht so schlimm«, sagte sie. »Wer weiß. Krankheiten entwickeln sich. Manche lösen sich mit fortschreitendem Alter einfach in Luft auf. Ich kann nicht wissen, ob ich überhaupt noch Probleme habe, solange ich die Medikamente noch nehme.«
    Ich unterdrückte ein Seufzen. Die Erinnerung an Mirellas Reaktion in Ernestos Büro stand mir mehr als deutlich vor Augen. Und es gab wohl keinen besseren Beweis dafür, dass die Krankheit noch aktiv war. Schließlich hatte diese Nacht Oliver und mich fast das Leben gekostet.
    Mirella schien meine Gedanken zu erahnen. »Ja, ich weiß«, sagte sie gereizt. »Ich hätte euch fast über den Haufen geschossen.«
    »Aber du hast es nicht getan.«
    Sie lächelte matt. »Nein. Irgendetwas in mir hat sich dazwischengeschaltet.« Unsere Blicke trafen sich. »Ich denke, es lag an dir. Ich konnte dich nicht erschießen. Nicht dich.«
    »Na also«, sagte ich und versuchte ein Lächeln. »Ausgewachsene schizoide Soziopathen würde das wohl eher wenig beeindrucken.«
    Mirella lachte auf. »Ja. Darauf sollten wir anstoßen.«
    Ich hob meinen Tee und ließ das Glas leise gegen ihres klingen. »Auf die Monster im Keller.«
    Mirella lächelte schwach. »Auf die Monster.«
    Das Essen kam und wir nutzten die Gelegenheit, um das ernste Thema auslaufen zu lassen. Doch ich war mir sicher, dass wir nicht zum letzten Mal drüber geredet hatten. Mirellas Anfälle würden uns begleiten, auch wenn wir beide hofften, dass alles gut gehen würde. Hoffnungen waren eben ein beratungsresistentes Pack …
    Mirella hob den Deckel vom Bambuskörbchen, in dem sich die Dim sum befanden. Doch noch bevor sie ihn auf dem Tisch abgelegt hatte, klingelte ihr Handy. Stirnrunzelnd blickte sie aufs Display. Ich sah, wie sich ihre Augen weiteten.
    »Es ist Ernesto«, sagte sie tonlos.
    Ich schluckte schwer. Es wunderte mich, dass der Kubaner sich jetzt bei Mirella meldete. Aber hätte ich es anders gemacht? Nein. Auch ich hatte damals nicht so schnell aufgebeben. Und schmerzlich feststellen müssen, dass alle Mühe vergebens war. Vielleicht war die Reihe für diese Lektion nun an Ernesto …
    Ich zuckte mit den Schultern. »Geh ran. Er wird keine Ruhe geben, bevor ihr nicht gesprochen habt. Oder?«
    »Ja. Wahrscheinlich.« Mirella zögerte noch einen Moment, dann nahm sie den Anruf entgegen. »Was willst du?« Ihr Tonfall war harsch, doch schon nach wenigen Augenblicken änderte sich ihr Gesichtsausdruck.
    »Wie bitte? Moment, Moment – wo steckst du? Ernesto, was ist los, verdammt, sag mir, wo du -«
    Ich hörte den Schuss bis zu meiner Seite des Tisches. Mirellas Gesicht versteinerte innerhalb von Sekunden. »Ernesto?«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Bist du noch dran? Sag was.«
    Doch es kam nur noch das Freizeichen.
    Mirella ließ das Handy sinken und keuchte leise auf.
    Ich starrte sie an. »Was ist los?«
    Das Telefon glitt aus Mirellas Hand und fiel mit einem Poltern auf die Tischplatte. Ihr Gesicht war aschfahl. »Ich glaube, Ernesto wurde gerade erschossen.«
    Ich sprang auf und ging neben Mirella in die Knie. »Was ist passiert?«, fragte

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