Die dunkle Seite des Weiß
ich, während meine Gedanken sich überschlugen. »Was hat er gesagt?«
Mirella starrte ins Leere. »Nur dass er … nicht lange reden kann. Er wirkte gehetzt. War kaum zu verstehen.« Sie blickte mich an. Ihre Augen wirkten riesig in ihrem blassen Gesicht. »Er sagte, wir sollen uns diesen Wilms nochmal vornehmen. Aber warum? Das haben wir doch schon längst gemacht.« Sie schluckte schwer. »Und dann war da ein Schuss. Und er hat nicht mehr geantwortet …«
Ich griff nach ihrer Hand. Sie war eiskalt. »Hast du etwas im Hintergrund gehört?«, fragte ich angespannt. »Irgendetwas, das uns verraten könnte, wo Ernesto ist?«
Sie schüttelte den Kopf und schluchzte leise auf. »Nein. Nichts. Keine Ahnung, es ging doch alles so schnell.« Sie sprang so hastig auf, dass der Stuhl nach hinten kippte und laut auf den Boden knallte. »Wir müssen ihn suchen, wir müssen –«
Ihre Knie gaben nach. Sie sackte so abrupt in sich zusammen, dass ich sie gerade noch auffangen konnte.
»Wir müssen gar nichts«, sagte ich bestimmt, zog mein Portemonnaie aus der Tasche und warf nachlässig einen Schein auf den Tisch. Geht‘s wieder?«
Sie nickte bleich.
»Ich gebe Simon Bescheid«, sagte ich und reichte Mirella meine Hand. »Er wird sich um alles kümmern. Und du kommst erst mal mit zu mir.«
Kapitel 15
»Und ich kann wirklich hierbleiben?« Mirella stand unschlüssig im Flur.
Ich fasste sie an der Hüfte und schob sie ohne Umschweife ins Wohnzimmer. »Selbstverständlich. Du kannst jetzt auf gar keinen Fall alleine zuhause sein. Setz dich. Ich hole uns etwas zu trinken.«
»Was Starkes!« Mirella ließ sich auf das Sofa fallen. »Gin. Oder Whiskey. Sowas.«
»Wird sofort kredenzt«, antwortete ich und schenkte ihr ein mattes Lächeln.
Mirellas Gesicht blieb unbewegt. Sie starrte einfach nur auf den Boden. Ich nickte ihr kurz zu, ging dann in die Küche und machte die Tür hinter mir zu.
Für einen Moment sank meine Stirn an das kühle Holz und ich schloss die Augen. Es waren merkwürdige Momente gewesen, während der Fahrt vom Restaurant zu mir. Die Unsicherheit, was mit Ernesto geschehen war. Jeder Versuch, ihn anzurufen, führte nur zu endlosem Klingeln. Nach dem Verlassen des Restaurants hatten wir Simon informiert. Der wiederum hatte sich um die Meldung an die Polizei gekümmert. Keine halbe Stunde später kam dann der Rückruf an uns: Man hatte Ernestos Handy geortet und ihn gefunden. Er war tot, erschossen aus nächster Nähe in einem verlassenen Fabrikgebäude nahe der Rummelsburger Bucht. Der Täter hatte keine Spuren hinterlassen. Nichts, was uns zu ihm führen konnte. Nichts, was uns weiterbrachte. Und nichts, was diese plötzliche Tat erklärte.
Ich war froh, dass Mirella und mir wenigstens diese Nacht in Ruhe blieb. Selbstverständlich würden wir aussagen müssen, was bei diesem letzten Telefonat geschehen war. Morgen. Nicht jetzt.
Ich spürte keine Erleichterung beim Gedanken an Ernestos Tod, und das beruhigte mich. Ich hätte innerlich triumphieren, es für eine gerechte Strafe halten können, denn schließlich hatte er mein bisheriges Leben auf dem Gewissen. Doch da war nichts als das Gefühl von Fassungslosigkeit. Und Mitgefühl für Mirella. Selbst wenn sie zugegeben hatte, dass die Beziehung zu Ernesto ein Fehler gewesen war und sie nicht glücklich gemacht hatte. Sie hatte einen Menschen verloren, der ihr nahestand. Dem sie sich hingegeben hatte, mit dem sie geteilt hatte, was sie bewegte. Es war ein Verlust, den ich ihr nicht erleichtern konnte. Selbst wenn ich ihr später erzählte, dass Ernesto alles zu verantworten hatte, was uns widerfahren war.
Ich hatte keine Ahnung, wie sie es auffassen würde. Es würde schmerzlich sein, so oder so. Und weil es sie schmerzte, schmerzte es auch mich.
Ich schlug die Augen auf und ging zum Schrank neben dem Küchenfenster. Mit sicherem Griff nahm ich die Flasche Irischen Whiskey heraus, die Hades mir einmal mitgebracht hatte, schnappte mir zwei Gläser und ging zurück ins Wohnzimmer.
Mirella starrte mich mit leerem Blick an, als ich einschenkte und ihr eines der Gläser in die Hand drückte.
»Wer macht denn sowas?«, flüsterte sie und führte das Glas an die bebenden Lippen. »Und warum? Er hat doch gar nichts getan.« Sie stockte und sah mich an. »Oder doch? Weißt du etwas, das ich nicht weiß?«
Ich zögerte kurz, dann schüttelte ich den Kopf. »Nein. Er hatte mit diesem dubiosen Forschungsprojekt nichts zu tun. Da bin ich mir
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