Die dunkle Seite
ersterbender Stimme. Er hatte einfach keine Kraft mehr. Nicht mehr den kleinsten Rest von Kraft.
Der andere schwieg.
»Gut«, sagte er. »Ich will dir glauben.«
Solwegyn fühlte die Worte heiß in sein Herz dringen. Er hob den Blick und sah seinen Peiniger wie durch Wasserschleier näherkommen.
Er glaubte ihm! Er würde ihn laufenlassen!
»Ymir«, sagte sein Gegenüber und zog eine kleine Flasche hervor.
»Weißt du, was ich hier habe?«
»N.. .nein.«
»Schau, in der Wüste kann es verdammt heiß werden. So, daß man sich wünscht zu sterben, anstatt noch länger in diesem Backofen gebraten zu werden. Kannst du mir folgen?«
Solwegyn nickte mit aufgerissenen Augen.
»Und man ist ja ohnehin kurz davor, den Löffel abzugeben, verstehst du? Hinsichtlich anderer Kleinigkeiten. Das habe ich versucht, Üsker klarzumachen: Wie man empfindet, wenn das Leben aus einem herauskriecht mit der Würde einer Pißlache. Üsker fand meine Ausführungen hochinteressant, und er war am Ende der Meinung, es geschähe ihm ganz recht.«
Solwegyn schwieg.
»Es würde mich freuen, Ymir, auch von dir ein bißchen Reue zu hören.«
»Aber ich hab dir doch nichts getan!«
»Du hast meinem schlimmsten Feind dazu verholfen, sich nach Frankreich zu verpissen. Du hast ihn meinem gerechten Zugriff entzogen.«
»Nicht mit Absicht! Ich schwöre, nicht...«
»Egal.« Der andere zuckte die Achseln. »Kannst du nicht einsehen, daß ich damit rein psychologisch ein Problem habe?«
»Doch«, sagte Solwegyn schnell.
»Das ist gut. Beichten hat noch immer genützt. Sieh mal, wer beichtet, dem soll vergeben werden. Ist es nicht so?«
»Oh ja, ja, vergib mir ...«
»Du hast was an mir gutzumachen, stimmtʹs?«
»Ja! Ja, sicher!«
»Dann bin ich froh und beruhigt. Wenn du dich schuldig bekennst, weiß ich, daß meine zweite Lektion nicht umsonst sein wird.
Deine Seele soll rein und unbefleckt aus diesem Tag hervorgehen.
Für mich war die Hitze die Hölle. Du verdienst ein gnädigeres Schicksal.« Er lachte leise. »Ich übergebe dich dem Fegefeuer.«
Er öffnete die Flasche und goß den Inhalt über Solwegyn aus. Das Zeug stank.
»Nein«, stieß Solwegyn hervor.
»Und Gott wird dich zu sich nehmen in Herrlichkeit.«
»Nein!«
»Amen.«
»Nein!« schrie Solwegyn. »Nein! Nein! Nein!« Aber das letzte Nein ging unter im dumpfen Knall des Feuerballs, der sein Schreien zum Verstummen und sein Herz im selben Moment zum Stillstand brachte.
16.00 Uhr. Vera
Mittlerweile war es so heiß, daß selbst Vera wenig Vergnügen daran fand, den Weiher entlangzulaufen, aber sie hatte es sich nicht anders ausgesucht.
Manchmal fragte sie sich, ob sie übertrieb. Detektive kamen im Gegensatz zur landesüblichen Meinung so gut wie nie in echte Schwierigkeiten und schossen fast ausschließlich mit der Kamera.
Sie hingegen absolvierte ein Programm, als wolle sie der GSG 9 den Rang ablaufen.
Es war gut so. Warum auch immer.
Auf halber Höhe genehmigte sie sich eine Rast und rief im Waidmarkt an.
»Roth.«
»Hallo Tom.«
»Daß du dich überhaupt noch traust«, sagte Roth.
»Tut mir leid. Was ist passiert?«
»Was soll passiert sein? Ich habʹs vermasselt, das ist passiert.«
»Es ... es tut mir wirklich leid«, sagte sie kleinlaut. »Hast du viel Ärger meinetwegen?«
»Ist noch nicht raus. Menemenci – das ist der Bursche, der den Üsker‐Fall bearbeitet – ließ durchblicken, daß er Gnade vor Recht ergehen läßt. Wir werden sehen. Sag mir lieber, ob sich der Schlamassel wenigstens gelohnt hat.«
»Ja. Ich glaube schon.«
»Mach keinen Blödsinn, hörst du«, brummte Roth. »Paß bloß auf dich auf.«
Sie lächelte. Ein Gefühl von Wärme und Zuneigung breitete sich in ihr aus. Sie hatte beinahe vergessen, wie nahe sie und Roth sich standen.
Konnte sie ihn einweihen?
»Tom, ich muß dir was erzählen. Der Mann auf dem Bild, das ich dir ...«
»Verschon mich mit den Einzelheiten«, unterbrach er sie. »Ich will nichts hören.«
»Ich dachte, es interessiert dich«, sagte sie verwirrt.
»Das tut es auch. Aber nicht im Augenblick. Laß uns einfach davon ausgehen, ich hätte dich in den letzten beiden Tagen nicht erreichen können.«
Sie verstand augenblicklich. Menemenci hatte Bedingungen gestellt.
»Mehr kann ich wirklich nicht für dich tun, Kleines.«
»Danke, Tom«, sagte sie leise. »Ich mach das alles wieder gut.«
»Ja. Das weiß ich. Paß auf dich auf.«
Er beendete das Gespräch. Vera stand eine kurze Weile
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