Die dunkle Seite
ist ein Haus in die Luft geflogen. Nur noch ein Trümmerhaufen. Fahren Sie zurück.«
Vera beschloß, aufs Ganze zu gehen.
»Doch nicht das Red Lion « fragte sie entsetzt.
Der Mann musterte sie und warf dann einen Blick auf Bathge. Vera schielte nervös nach rechts, aber Bathge beugte sich bereits gelassen herüber und trug die ehrliche Besorgnis der Ahnungslosen zur Schau.
»Es ist doch hoffentlich niemand zu Tode gekommen?« fragte er.
Der Feuerwehrmann schien unruhig zu werden. Die Befragung überschritt eindeutig seine Kompetenzen.
»Warten Sie einen Moment«, sagte er.
Er ging zurück zu den Polizeiwagen und weiter zu einer Personengruppe, die eben das Grundstück verließ und auf die Straße trat.
»Das gefällt mir nicht«, murmelte Bathge.
Vera sah, wie sich einer aus der Gruppe löste und auf den Feuerwehrmann zuging. Sie sprachen miteinander. Er stand ein gutes Stück weit weg. Dennoch erkannte Vera ihn an der Statur.
Es war Menemenci.
»Mir auch nicht«, sagte sie. Ohne Hast legte sie den Rückwärtsgang ein, fuhr einen Bogen und ließ den Wagen in normalem Tempo zurück zur Kreuzung rollen. Die Ampel schaltete auf Grün. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel, aber niemand folgte ihnen.
Wenig später waren sie auf der Autobahn.
Bathge saß mit versteinertem Gesicht neben ihr. Während der ganzen Fahrt zurück zur Schaafenstraße sagte er nichts. Sie parkten vor der DeTechtei und blieben sitzen, als hätten sie es so verabredet.
Vera sah zu ihm hinüber.
Seine Angst umgab ihn beinahe wie eine Aura. Angst vor dem Sterben.
»Wir werden einen anderen Weg finden«, sagte sie leise.
Er drehte den Kopf und schnaubte.
»Was für einen Weg? Ich werde tot sein, bevor wir einen Weg finden. Ist Ihnen klar, was das bedeutet? Warum Solwegyn sterben mußte?«
Vera kannte die Antwort. Die ganze Zeit über hatte sie die Tatsachen verdrängt, aber es gab keinen Zweifel.
Wer immer für Solwegyns Tod verantwortlich war, mußte über ihre Aktivitäten in den letzten Tagen informiert gewesen sein. Solwegyn hatte sterben müssen, bevor das Treffen mit Bathge zustandekam. Der Mörder hatte davon erfahren und es so vehement verhindert, daß davon die Bäume in Fetzen gerissen worden waren.
Er war ihnen auf den Fersen. Er wußte, worüber sie sprachen und was sie taten und was sie dachten.
»Nein«, sagte Vera heftig. »Nein, es ist unmöglich!« Sie schlug mit der flachen Hand aufs Lenkrad. »Niemand kann uns angezapft haben. Es ist...«
Plötzlich kam ihr eine Idee.
Nicht sie waren überwacht worden, sondern Solwegyn.
Und wer hatte von dem Gespräch zwischen ihr und dem Nachtclubkönig gewußt und es sogar mitangehört, Wort für Wort?
»Katya«, sagte sie leise.
»Ich verstehe nicht.«
»Das Mädchen, das bei Solwegyn war, als ich mit ihm sprach.«
Bathge runzelte die Stirn.
»Glauben Sie, Marmann hat eine Verbündete?«
»Warum nicht? Wieso übrigens Marmann? Glauben Sie immer noch, Marmann hat es auf Sie abgesehen?«
»Wenn diese Katya eine Verbündete wäre, hätte der Mörder sich nicht an Solwegyn vergreifen müssen. Er hätte über sie herausbekommen, wo Marmann...«
Bathge hielt inne.
»Genau«, sagte Vera.
»Er hat Marmann gesucht, ebenso wie wir«, flüsterte Bathge.
»Ja, und bei Üsker hat er angefangen. Marmann jagt Sie nicht. Er wird selber gejagt. Jemand ist bereit, zwei Menschen zu ermorden, um an ihn ranzukommen. Offengestanden, wenn ich Marmann wä‐
re, würde ich versuchen, auf die Größe eines Atoms zusammenzuschrumpfen.«
Bathge stieß überrascht den Atem aus.
»Wahrscheinlich hat Katya keine Ahnung von Solwegyns Verbin dung zu Marmann«, fuhr Vera fort. »Sie hat es erst erfahren, als er und ich darüber sprachen. Ich glaube kaum, daß sie Solwegyn bewußt verraten hat. Vielleicht wurde sie selber benutzt.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Sie ...« Vera überlegte. »Sie schien ihn zu lieben.«
»Das sind alles Hypothesen, Vera. Tatsächlich wissen wir nicht das geringste. Weder, warum das Red Lion in die Luft geflogen ist, noch, ob Solwegyn wirklich tot ist oder diese Katya lebt. Wer sagt uns das ?«
»Ja«, murmelte Vera. »Wer sagt uns das?«
Sie wandte ihm das Gesicht zu. Erst jetzt fiel ihr auf, daß sie ihn seit einer halben Stunde ohne Zigarette sah. Keine Rauchschwaden markierten den Sicherheitsabstand, den er sonst so rigoros aufrecht erhielt.
In seinen Augen lag eine solche Verzweiflung, daß sie plötzlich das Bedürfnis hatte, ihn in die Arme
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