Die dunklen Engel (German Edition)
musste.»
«Natürlich musste er sterben!»
Jemmy Scurdon, pockennarbig, betrunken und längst über seine beste Zeit als Boxer hinaus, war angeheuert worden, um Lady Campion auf der Straße nach Millet’s End zu überfallen. Chemosch war nach Lazen gereist, um den Überfall auszukundschaften, doch ein Blick auf die junge Frau sechs Tage vor Scurdons Ankunft, und er hatte beschlossen, sie zu heiraten. Und was war besser geeignet, ihre Bekanntschaft zu machen, als sie vor einer Vergewaltigung zu retten? Es war so einfach, dass jeder Idiot auf die Idee hätte kommen können. Und was konnte besser verhindern, dass sie den falschen Mann heiratete, als dass sie einen Gefallenen Engel zum Ehemann nahm? Also hatte er im letzten Augenblick seine Pläne geändert, und statt sich auf die Ansteckung durch Scurdon zu verlassen, hatte er beschlossen, den Mann aus London zu opfern.
Larke erhob sein Glas. «Meine Gratulation zu deiner Verlobung, Mylord.»
«Du bist zu freundlich, Larke.»
«Das hast du gut gemacht», räumte Larke widerwillig ein. Lord Culloden lachte. «Ich habe den schüchternen Freier gegeben, Larke. Dieses gottverdammte Landleben! Hast du je Weihnachten auf dem Land verbracht?»
«Nein.»
«Absolut primitiv! Die Jagd ist annehmbar, aber der Rest!» Lord Culloden schüttelte den Kopf. «Wusstest du, dass ich ihretwegen sogar in die Kirche gehe!»
Larke lächelte nicht. «Sie soll ja ungewöhnlich schön sein.»
Culloden setzte sich, griff nach seinem Mantel auf dem Boden und zog ihn heran, bis er die Hand in eine der geräumigen Taschen stecken konnte. Dann brachte er ein in Papier eingewickeltes Päckchen zum Vorschein. «Schau selbst.»
Es war das Porträt in dem goldenen Rahmen, das Campion in ihrem cremefarbenen Seidenkleid mit den Blumen vor der Brust zeigte. Larke setzte sich Lord Culloden gegenüber und betrachtete das kleine Gemälde. «Sieht es ihr ähnlich?»
«Vollkommen. Eher ist sie noch schöner.»
«Und die entsprechende Figur?»
Culloden lachte. «Scurdon hat mir genug davon gezeigt.» Er trank seinen Champagner und erinnerte sich daran, wie er vom Gebüsch aus zugesehen hatte, als Campion die Kleider vom Leib gerissen worden waren. Er sah ihre Oberschenkel vor sich und erinnerte sich daran, dass er so aufgeregt gewesen war, dass er beinahe zu spät gekommen wäre, um das Pferd zu holen, das er in einer Senke versteckt hatte. «Sie ist ziemlich schön, Larke, ziemlich hinreißend schön. Besser als alles, was du bei Abigail’s hast.»
Larke starrte immer noch auf das Porträt. «Sie ist natürlich eine halbe d’Auxigny. Marchenoir hat gesagt, ihre Mutter sei schön gewesen.» Lächelnd hob Larke das Porträt. «Vielleicht sollten wir das zu Bürger Marchenoir schicken, was? Sein Blut ein bisschen in Wallung bringen.»
Culloden schwieg. Im Zimmer nebenan spielte Mrs. Tipps auf dem Spinett klimpernde, helle Töne.
«Bist du in sie verliebt?» Larkes Stimme war tief.
Culloden lachte. «Verliebt? Ich habe eine Schwäche für sie, das würde jedem Mann so gehen, aber ich könnte bei Gott nicht mit ihr zusammenleben! Sie ist so …», er winkte ab, «pflichtbewusst? Ich hatte fast vergessen, was es heißt, gut zu sein, Larke, und wie durch und durch langweilig es ist. Auch glaube ich nicht, dass ich mit dieser endlosen Leidenschaft für Pferde und Bücher leben kann. Und doch entschädigt sie einen eindeutig dafür, findest du nicht?»
Larke starrte auf das Porträt. «Ja. In der Tat. Für die könnte man hundert Guineen die Nacht verlangen.» Er lachte. «Ich denke, ich schicke es zu Bürger Marchenoir. Er hat eine Schwäche für hübsche Aristokratinnen.»
«Eine Schwäche?»
«Eine Schwäche dafür, sie umzubringen.» Lächelnd wedelte Larke mit dem Porträt. «Hast du was dagegen?»
«Mein lieber Freund!», sagte Lord Culloden überschwänglich.
Behutsam legte Larke das Porträt auf den Tisch und stand auf. Sein gewelltes, geöltes Haar schimmerte im Kerzenlicht, als er den Raum durchquerte, der üppig mit rotem Samt und gerahmten Drucken von Harry Tipps berühmten Kämpfen ausgestattet war. Es gab ein großes Porträt von Mrs. Tipps, die den Künstler in jugendlicher, scheuer Schönheit anlächelte. Sie war tatsächlich jung, und sie war hübsch, aber scheu konnte man sie kaum nennen. Sie herrschte mit derselben Leichtigkeit über den kräftigen Boxer, mit der sie die Regie über die Finanzen des Geschäfts führte.
Larke zog einen Vorhang zurück und starrte auf
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