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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Herbstlaub filterte das Licht.
    Helene hatte nicht angerufen. Sie hatte auch seine Nachrichten nicht beantwortet. Er fragte sich, ob es mit Peter zu tun hatte. In den zurückliegenden Tagen hatte er sein Unbehagen in Arbeit erstickt. Er hatte den Vermeer beschädigt und mit Ölschlick verschmutzt und die Schäden anschließend wieder ausgebessert, um den Anschein der Restaurierung aufrecht zu erhalten.
    Er hatte Verhoeven nicht angerufen, um es abholen zu lassen. Die Vorstellung, dass der Galerist erneut sein Atelier betrat, war ihm so abstoßend erschienen, dass er beschlossen hatte, das Bild selbst in die Galerie zu bringen. In seinem Atelier stand eine Vase mit Mohn und Kornblumen, die er nach Helenes Besuch gekauft hatte. Er wollte nicht, dass Verhoeven die Blüten berührte, dass er ihren Duft einatmete, dass seine Schritte das Wasser in der Vase erschütterten.
    Deshalb trug er das Bild die Rue de la Ruche hinab, bis zum Haus mit den breiten Treppenstufen. Er setzte die Rolle auf der obersten Stufe ab, stieß die Tür auf und trat ein.
    Sein Blick glitt über eine Serie kleinformatiger Gemälde an den Wänden, Acrylkompositionen in Schwarzweiß mit einem dicken Farbauftrag, der sie in dreidimensionale Reliefs verwandelte.
    Der Platz hinter dem Empfangstresen war leer.
    „Hallo?“, fragte er halblaut in den Raum. „Ist jemand da?“
    Nichts geschah, nur die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Er lehnte die Rolle gegen eine Säule und trat in den Nachbarraum, in dem Verhoeven farbige Grafiken ausstellte. Parkett knarrte unter seinen Füßen. Unschlüssig streifte er weiter, bis in den letzten Raum, der eigentlich ein breiter Korridor zum Hof war. Dort blätterte er durch einen Stoß Fotorahmen.
    Er verharrte, als das Klappern der Eingangstür herüber wehte. Lautlos nahm er seine Hände von den Bildern. Verhoevens Assistentin war zurück. Er wollte zurückgehen ins Foyer, erstarrte aber mitten in der Bewegung, als Stimmen aufklangen.
    „Und wieso hast du dich dann nicht gemeldet?“ Ein Mann, laut und in Rage. „Ich habe mit denen telefoniert! Sie haben mir gesagt, dass du nur die ersten paar Tage nicht sprechen konntest. Danach hättest du mich anrufen können!“
    Die Haut in Henryks Nacken zog sich zusammen. Er konnte die Antwort nicht verstehen, erkannte aber die Stimme.
    „Aber ich weiß, dass du lügst.“ Der Tonfall wurde aggressiver. „Wann begreifst du, dass du mich nicht anlügen brauchst? Ich kann die Wahrheit vertragen.“
    Helene erwiderte etwas. Henryk widerstand dem Bedürfnis, in den Nachbarraum zu schleichen, um sie besser zu hören.
    „Oder geht es um Grigore?“
    Blut stieg ihm ins Gesicht, als er seinen Namen hörte. Seine Finger umklammerten die Kante eines Bilderrahmens. Er spürte kaum, wie der Metallgrat in seine Handfläche schnitt.
    „... lächerlich“, fing er auf. Ihre Stimme hob sich, aber nicht weit genug, um durch zwei Räume zu tragen. Angestrengt lauschte er. Sie sagte noch mehr, aber er konnte die Worte nur erahnen.
    Eine Tür klapperte, Helene verstummte.
    „Wie geht es Ihnen?“, hörte er eine dritte Stimme. Verhoevens Assistentin. „Paul erwartet Sie schon.“
    Absätze klapperten auf dem Parkett, näherten sich und verklangen wieder. Eine Tür fiel ins Schloss, danach herrschte Stille. Nichts zeugte von der Eruption, deren Zeuge er gerade geworden war.
    Er machte einen zögernden Schritt, hielt wieder inne und lauschte. Dann wagte er sich endlich zurück ins Foyer. An der Wand lehnte die Rolle mit dem Vermeer.
    Einen Moment später tauchte die Assistentin in der Tür auf. Sie sah adrett aus wie immer und als sie ihn mit seinem Namen begrüßte, war er überrascht.
    „Ich möchte etwas abgeben“, murmelte er. „Für Paul Verhoeven.“
    „Er hat gerade einen Termin“, sagte die junge Frau. „Möchten Sie warten?“
    „Nein.“ Henryk schüttelte den Kopf. „Geben Sie ihm die Bilderrolle. Erwartet schon darauf.”
     
     
     
     

III   Henryk
     
     
     
      
     
    In order for the light to shine so brightly, the darkness must be present.
     
    (Sir Francis Bacon)
     

37
     
     
     
    Sechs Wochen später.
     
    Seine Zunge fühlte sich schwer an, als Henryk erwachte, wie mit Pelz überzogen. Halb wälzte er sich herum. Der Schmerz in seiner Seite ließ ihn zusammenzucken. Erst mit Verzögerung realisierte er, dass er auf dem Boden lag.
    Aus den Steinen sickerte Kälte. Sein Rücken schmerzte.
    Wann war er eingeschlafen?
    Er richtete sich auf die Knie auf

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