Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)
Motel-du-Jour eingecheckt und ein Schläfchen gemacht, was ein bisschen gegen den Kater geholfen hatte. Ich hatte auch zu Abend gegessen und den einen oder anderen Kaffee getrunken, und jetzt fuhr ich einfach durch die Gegend. Das hilft mir, einen klaren Kopf zu bekommen, bringt mein Denkvermögen auf Trab, vor allem, wenn ich die Fenster runterkurble und mich ein bisschen vom Wind zausen lasse. An diesem Abend brauchte ich definitiv Sauerstoff, also nahm ich den Woodside Highway in die Hügel hinauf und kutschierte auf dem Skyline südwärts, wobei ich immer wieder durch die Lücken zwischen den Bäumenblickte, um den am Boden verstreuten Sternenhaufen zu sehen, die nächtliche Stadt.
Ich weiß, aus dem Mund eines Engels muss das besonders bizarr klingen, aber San Judas hatte für mich immer etwas fast schon Mystisches. Es ist in vielerlei Hinsicht eine seltsame Stadt, nicht so kosmopolitisch wie San Francisco oder so funky-ethno wie Oakland, sondern geprägt von seiner langen Geschichte von Wirtschaftsblasen und -zusammenbrüchen. Trotz der Stanford-Universität gilt es nicht wirklich als Weltklassestadt, aber es hat etwas, das mir irgendwie unter die Haut geht. Ich mag den Geruch der Bay, ich mag die Hügel bei Nacht, ich mag die alten Downtown-Gebäude in ihrer inzwischen etwas verschämten Golden-Age-Opulenz, ich mag die Gässchen und versteckten Innenhöfe und weißgetünchten Kirchen von Alt-Spanishtown. Ich mag die Bars am Wasser und die Geschichten, die man dort hört. Jude ist wie eins dieser Lieblingsbücher, in denen man jedes Mal, wenn man sie aufschlägt, etwas Neues entdeckt.
Im Radio kriegt man auf dem Skyline nicht viel, außer man hat Satellitenempfang. Der Pontiac war noch nicht fertig umgebaut, deshalb hatte er ansonsten nur einen Kassettenrecorder (man höre und staune). Aber ich wollte unbedingt Musik hören, also hielt ich in einer Aussichtsbucht und kramte in der Box mit Uralt-Kassetten im Fußraum der Beifahrerseite, bis ich eine mit gregorianischen Gesängen fand, die allemal eine bessere Nachdenkmusik abgaben als die Alternativen (Sachen wie Loggins and Messina oder Chicago VI). Die Kassette funktionierte noch, was mich verblüffte – sie musste schon Jahrzehnte im Wagen liegen. Ich fragte mich, ob jemand Mitte der Siebzigerjahre in diesem Schlitten gestorben war und einfach mumifiziert hier drinnen gelegen hatte, samt seinen blöden Kassetten, bis Orban ans Werk gegangen war.
Von melodisch klagenden Mönchen begleitet, erreichte ich Santa Cruz, kehrte im Nebel, der vom Pazifik hereindriftete, umund wartete immer noch, dass sich alles zusammenfügte und mir seine verborgene Struktur offenbarte oder das Universum mir wenigstens einen Tipp gab, was ich als Nächstes tun sollte. Aber das Universum hielt die Klappe. Zurück nahm ich die langsame Strecke über den Highway 9, und als ich schließlich wieder am oberen Ende des Woodside Highways ankam, war ich so damit beschäftigt, irgendeine sinnvolle Anordnung der Puzzleteile zu finden, dass ich, als mein Handy klingelte, vor Schreck mit der Riesenkiste fast von der Straße abkam. Ich hoffte, dass es kein Klient war, und diesmal hatte ich Glück: Es war Fatback, was hieß, dass es schon nach Mitternacht sein musste. Ich war verblüfft, wie schnell die Zeit vergangen war.
»Mr. D, sind Sie’s?«
»Ich bin hier, George.« Ich fuhr jetzt bergab. »Gar nicht so weit von Ihnen sogar.«
»Möchten Sie vorbeikommen? Ich glaube, Javier hat ein paar Bier in den Kühlschrank getan.«
Ich hatte schön heiß geduscht, ehe ich losgefahren war, und die Vorstellung, meine Klamotten mit diesem Geruch zu durchtränken, reizte mich nicht sonderlich. Außerdem musste ich immer noch nachdenken. »Ich muss zu einem Klienten, George – sorry. Wir sehen uns demnächst mal.«
»Yeah.« Er klang traurig. »Es ist immer nett, Besuch zu haben.« Er hatte seinen Ton offenbar selbst bemerkt, denn er wurde schlagartig geschäftsmäßig. »Hey, D, ich muss sagen, Sie decken mich wirklich mit Arbeit ein. Dieser Walker, Grasswax, Habari, was noch? Ach ja, Ihr Ghallu-Etwas, Ihre Magianische Gesellschaft und jetzt noch all diese anderen Leute?«
»Tja, wenn Sie tagsüber jemanden hätten, der für Sie arbeitet, würde nicht dieser ganze Kram auf Sie warten, sobald Sie aus Schweineland zurückkommen.« Ich wünschte sofort, ich hätte es nicht gesagt – es klang gemein –, aber wenn es George etwas ausmachte, ließ er es sich nicht anmerken.
»Ja, klar, Bobby, als
Weitere Kostenlose Bücher