Die dunklen Gassen des Himmels: Bobby Dollar 1 (German Edition)
antiken Schreibtisch, auf dem sein Computer, ein ziemlich teurer Dell Precision, noch immer stand. Das übrige Mobiliar bestand aus wandhohen Bücherregalen, einem niedrigen Tisch auf der einen Seite der Tür und zwei großen Metallaktenschränken auf der anderen. Den Computer nahm ich mir gar nicht erst vor, nicht nur, weil ich überzeugt war, dass ihn die Polizeitechniker und wahrscheinlich auch Walkers Anwalt bereits gründlich inspiziert hatten. Obwohl Walker in Sachen IT zweifellos auf der Höhe der Zeit gewesen war, schien er mir doch der altmodische Typ, der wichtige Dinge immer in Papierform haben wollen würde, und wenn neugierige Hacker für ihn ein Thema gewesen waren, hatte er Derartiges vielleicht gar nicht elektronisch gespeichert. Schließlich hatte Edward Lynes Walker noch der letzten analog aufgewachsenen Generation angehört.
Es gibt zwei Arten, ein Zimmer zu durchsuchen, je nachdem, ob man weiß, was man sucht, oder ob man es nicht weiß. Im ersteren Fall ist es leichter, weil man von vornherein eine Menge ausschließen kann: Sucht man etwa einen Picknickkorb, braucht man seine Zeit nicht damit zu vergeuden, in Briefumschlägennachzusehen. Dieser Luxus war mir nicht vergönnt, also machte ich mich daran, so schnell wie möglich alles aus den Aktenschubladen zu nehmen und auf dem Fußboden zu deponieren. Nach einer halben Stunde sah der Teppich aus wie die Skyline von Downtown San Judas, nachgebaut aus Stapeln von Papier und beigem Karton. Ich setzte mich hin und begann mich hindurchzuarbeiten.
Ich nahm jedes Blatt aus jeder dieser Akten und inspizierte es einzeln. Für jemanden, der ansonsten so faul ist, bin ich ganz schön gründlich, doch nach zwei Stunden Plackerei hatte ich immer noch nichts Außergewöhnliches entdeckt. Wohl aber hatte ich nach dem Studium all der vielen Schnipsel von Walkers Leben das Gefühl, ihn allmählich ein bisschen zu kennen. So ging etwa allein schon aus seiner Geschäftskorrespondenz hervor, dass er kein leichtgläubiger Trottel war. Er mochte vielleicht (wie ich das bei Ingenieuren oft festgestellt habe) ein bisschen zu überzeugt von seinem vernünftigen Urteilsvermögen gewesen sein, aber andererseits hätte er nie irgendwelchen Versprechungen geglaubt, ohne Beweise zu sehen. Der Atheismus, auf den seine Bücher hatten schließen lassen, schien nicht auf einer grundsätzlichen Kritik an Religion als solcher zu beruhen, sondern auf der Einstellung, dass alles, was sich nicht wissenschaftlich beweisen ließ, reine Zeitverschwendung war. Machte ihn das nicht eher zum Agnostiker als zum Atheisten? Aber wie man es auch drehte und wendete, religiös war Walker jedenfalls nicht gewesen. Wenn man unterstellte, dass sein Verschwinden willentlich erfolgt war – wieso sollte jemand, der nicht an ein jenseitiges Leben glaubte, mit den himmlischen Autoritäten Verstecken spielen wollen?
Es waren über zwei Stunden vergangen; Posie konnte ihren Boyfriend jeden Moment überreden, sie wieder nach Hause zu bringen, aber ich wollte noch nicht aufgeben. Ich sah in aller Eile sämtliche Bücher im Büro durch, nahm jedes einzeln ausdem Regal und untersuchte es auf zwischen den Seiten steckende Umschläge oder Zettel – vergebens. Es dauerte lange, aber ich war nun mal gründlich. Ich hatte gerade alle Bücher wieder an ihrem Platz und auch alles übrige aufgeräumt, als ich einen Wagen in die Einfahrt einbiegen hörte. Ich geriet nicht in Panik – mir war klar, dass ich Posie so ziemlich alles erzählen konnte, und auch G-Man würde vermutlich keinen allzu ernsthaften intellektuellen Widerpart darstellen, aber ich wollte meine Karten nicht überreizen, für den Fall, dass ich noch mal hierherkommen musste, auch wenn ich bezweifelte, dass es sich lohnen würde. Schließlich hatte ich trotz aller Gründlichkeit nichts gefunden und war jetzt nicht mehr so überzeugt von der Eingebung, die mir vor ein paar Stunden noch so genial erschienen war.
Ich rannte die Treppe hinunter und blieb wie angewurzelt stehen. Ich hatte die Bücher im Wohnzimmer völlig vergessen. Ich wusste ja, es waren hauptsächlich Kunstbände, Wirtschaftsmanifeste und ein paar Romane, aber da, direkt vor mir, standen die paar Reihen von religiösen – na ja, zumeist eher anti-religiösen – Büchern, die mir jetzt kein minder guter Ort erschienen, um einen Abschiedsbrief zu hinterlassen. An der Haustür hörte ich nun schon die Schlüssel klappern, was hieß, ich konnte nicht länger bleiben. Ich würde noch
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