Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
schlaff herabhingen. Es schien, als sei es ihr sogar einem Arzt gegenüber peinlich, etwas so Persönliches zu sagen.
Das überraschte Anna nicht. Irenes schwerfällige und steife Art, sich zu bewegen, zeigte ihr, dass ihre Muskeln verspannt waren. Vermutlich hatte Angst ihr Leiden ausgelöst. Während sie still stand, hob sie den linken Arm und legte ihn sich auf die rechte Hand.
»Auch in der Brust?«, fragte Anna.
Irene lächelte. »Ihr werdet mir sagen, dass ich ein schwaches Herz habe. Ich werde das bestätigen und Euch die Suche nach tröstenden Worten ersparen.« In der Art, wie sie das leichthin sagte, lag ein Anflug von Bitterkeit, aber keinerlei Selbstmitleid.
»Nein«, gab Anna zurück.
Überrascht hob Irene die Brauen. »Sünde? Man hatte mir über Euch etwas anderes berichtet. Zoe Chrysaphes hat gesagt, dass Ihr nichts von dieser Art haltet, Krankheiten zu erklären.«
»Ich hätte ihr weder diesen Scharfblick zugetraut«, sagte Anna, »noch dass sie überhaupt auf mich geachtet hätte. Ich dachte, für sie sei ich nichts als ein Arzt.«
Irene lächelte. Das wirkte auf ihren unansehnlichen Zügen wie ein Sonnenstrahl, der auf eine karge Landschaft fällt. »Zoe achtet auf jeden, vor allem dann, wenn sie annimmt, dass ihr jemand nützen könnte. Sie wiegt einfach jedes Werkzeug auf den Bruchteil einer Unze genau ab, bevor sie sich entscheidet, ob sie es benutzt oder nicht. Jetzt aber antwortet mir frei heraus – was stimmt mit mir nicht? Ihr habt mich beim vorigen Mal gründlich genug untersucht. «
Anna war noch nicht so weit, dass sie darauf eine Antwort gehabt hätte. Irenes Mann lebte, das wusste sie, denn sein Name war bei ihrem ersten Besuch gefallen. »Wo befindet sich Euer Gemahl?«, fragte sie.
Zorn flammte in Irenes Gesicht auf, und sie fuhr Anna mit blitzenden Augen an: »Ihr sollt mir antworten, unverschämtes Geschöpf. Was soll das Leiden meines Leibes mit ihm zu tun haben?«
Verblüfft begriff Anna, wie deutlich diese Antwort Irenes Situation gemacht hatte. Womit mochte ihr Mann sie so tief verletzt haben, dass die Wunde bei der leisesten Berührung aufbrach?
»Eure Krankheit geht zum großen Teil auf Sorge zurück«, sagte Anna mit gesenkter Stimme, bemüht, keinerlei Mitleid darin mitschwingen zu lassen. »Ich weiß von meinem letzten Besuch bei Euch, dass sich Euer Sohn in Konstantinopel aufhält, und so frage ich mich, ob sich Euer Gemahl auf Reisen befindet, vielleicht in gefährlichen Gebieten. Allerdings bin ich nicht sicher, ob es viele ungefährliche gibt. Das Meer selbst verändert sich nie, aber Piraten kommen und gehen.«
Errötend sagte Irene: »Ich bitte um Entschuldigung. Mein Mann lebt in Alexandria. Ich weiß nicht, ob er dort
in Sicherheit ist oder nicht. Darüber zerbreche ich mir auch nicht den Kopf, denn das würde zu nichts führen.« Sie wandte sich ab und ging durch den Bogen, der in den Hof führte, auf die dort wachsenden leuchtenden hohen Blumen zu. Es kostete sie sichtlich große Mühe.
Grigorios befand sich also nach wie vor in Ägypten, selbst so viele Jahre, nachdem die meisten Vertriebenen aus allen Himmelsrichtungen nach Konstantinopel zurückgeströmt waren.
Anna folgte Irene. Alles im Hofwar von erlesener Schönheit. Während sich das Wasser des Springbrunnens in ein im Schatten liegendes Becken ergoss, erfasste das Sonnenlicht den obersten Teil des Strahls.
Sie sprach zu Irene über das, was Ärzte üblicherweise ansprachen: Ernährung, Schlaf, die Vorzüge körperlicher Bewegung.
»Glaubt Ihr denn, ich hätte nicht selbst an all das gedacht? «, fragte Irene. Es klang enttäuscht und bedrückt.
»Davon bin ich sogar überzeugt«, gab Anna zurück. »Aber habt Ihr auch alles getan? Auch wenn es Euch nicht heilen wird, gibt es Eurem Körper die Möglichkeit, sich selbst zu heilen.«
»Ihr seid nicht besser als mein Priester«, hielt ihr Irene vor. »Soll ich etwa ein Dutzend Vaterunser sagen?«
»Ja, vorausgesetzt, Ihr bringt das fertig, ohne dabei an etwas anderes zu denken«, gab Anna in ernstem Ton zurück. »Ich glaube nicht, dass ich das könnte.«
Mit einem Anflug von Interesse sah Irene sie an. »Soll das eine etwas gewundene Art sein, mir zu sagen, dass dahinter doch eine Sünde steckt? Ihr dürft mir die Wahrheit gern ins Gesicht sagen. Ich bin ebenso stark wie Zoe Chrysaphes. « In ihren Augen blitzte etwas auf, was wie Belustigung
aussah. »Oder habt Ihr die Wahrheit auch für sie hübsch verpackt, so wie man die Medizin
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