Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
sie sich, Ordnung in ihre sich jagenden Gedanken zu bringen.
Auf welche Weise war er auf die Verschwörung gestoßen? Oder war er von Anfang an daran beteiligt gewesen? Und wieso hatte er so lange gebraucht, um zu erkennen, dass sie zum Scheitern verurteilt war?
Nachdenklich sah sie zu der Armillarsphäre auf dem Tisch. Bei diesem Gerät zur Darstellung der Himmelskörper bewegten sich Kreise im Inneren von anderen Kreisen. Hatte die Verschwörung etwa so ausgesehen, oder war sie viel einfacher gewesen: das verzweifelte Bündnis von Menschen, von denen jeder sein eigenes Ziel verfolgt hatte? Bessarion war es um den Glauben zu tun gewesen und vielleicht – ob bewusst oder unbewusst – auch um Ehrgeiz und Ruhm, das Bestreben, die einstige Macht seiner Familie zurückzugewinnen. Bei Helena hatte sicherlich einfach Machtgier dahintergestanden. Sie war so ehrlich, oder eher so gewissenlos, nie so zu tun, als gehe es ihr um den Glauben.
Über Esaias wusste Anna nach wie vor so gut wie nichts. Andere hatten ihn als oberflächlich geschildert, doch das brauchte nicht unbedingt zu stimmen. Vor dem Hintergrund der Verschwörung begann sie zu vermuten, dass die daran Beteiligten von ihrem Charakter her zum Teil völlig anders gewesen waren, als sie sich dargestellt hatten, um das Ziel zu erreichen, hinter dem alles andere in den Hintergrund trat.
Nachdem sie alle Kräuter wieder weggeräumt hatte, ging sie daran, die verschiedenen Tinkturen abzufüllen und die Gefäße mit Etiketten zu versehen.
Antonios war möglicherweise genau so gewesen, wie er zu sein schien: der Kirche selbst um den Preis des eigenen Lebens treu ergeben; ein guter Freund Ioustinianos’, der auch nur dessen Beteiligung an dem Komplott, wenn überhaupt, erst unter der Folter gestanden hatte, als es sinnlos geworden war, sie weiter abzustreiten.
Ioustinianos war von Anfang der Außenseiter gewesen. Als solcher hatte er Bessarions Schwächen wie auch dessen Absichten als Erster erkannt und begriffen, dass dieser Träumer, weit davon entfernt, Konstantinopel zu retten, das Schicksal der Stadt besiegeln würde.
Sie versuchte sich vorzustellen, wie er sich gefühlt haben musste, als sich ihm diese Erkenntnis aufdrängte und er Schritt für Schritt zu dem Ergebnis gekommen war, man dürfe unter keinen Umständen zulassen, dass Bessarion auf den Thron gelangte. Mit einem Rücktritt von seiner Beteiligung an der Verschwörung hätte er aber nichts bewirkt, denn in dem Fall wäre Dimitrios an seine Stelle getreten. Doch musste man unbedingt Bessarion Einhalt gebieten. Ob er zu ihm gegangen war und versucht hatte, ihn mit immer mehr Nachdruck zu überreden, um dessen Widerstand zu überwinden? Waren die Auseinandersetzungen dabei immer hitziger geworden, so dass er sich in einem Augenblick der Verzweiflung an andere gewandt hatte, sogar an Irene, aber nicht an Zoe? Was mochte der Grund dafür gewesen sein, dass sich Ioustinianos nicht im Interesse der gemeinsamen Sache mit Zoe verbündet hatte?
Als Einzigem hatte er Antonios rückhaltlos vertraut, und der war am Schluss gefoltert und hingerichtet worden.
Sie war jetzt mit ihrer Arbeit fertig und ging daran, Mörser, Pistill und Schalen abzuwaschen und wegzuräumen.
Wenn Bessarion am Leben geblieben wäre, hätten die Verschwörer ihre Ziele weiterverfolgt und schon am nächsten Abend versucht, den Kaiser umzubringen. Zoe besaß die dafür unerlässliche Unerschrockenheit und Geschicklichkeit. Aber hatte sie wirklich Bessarion so viel Mut und Entschlusskraft zugetraut, wie nötig waren, um die Stadt vor den Lateinerkönigen und die Kirche vor der Verschmelzung mit Rom zu retten?
Wäre er ihren Vorschlägen gefolgt, oder wäre er so anmaßend gewesen, dass er, einmal auf dem Thron, jeden Rat in den Wind geschlagen hätte, zumal, wenn er aus dem Mund einer Frau kam?
Vielleicht hätte Zoe zugelassen, dass er den Thron bestieg, und anschließend Dimitrios Vatatzes geholfen, Bessarion zu stürzen. Oder war das Irenes Plan gewesen?
Ioustinianos hatte dafür gesorgt, dass nichts von alldem geschah. Wenn er, wie Zoe Anna gegenüber vermutet hatte, Bessarion getötet hatte, wäre er nicht nur kein Verschwörer gegen Kaiser Michael gewesen, sondern hätte ihm ganz im Gegenteil das Leben gerettet. War das dem Kaiser bewusst gewesen? Und Nikephoros?
KAPİTEL 56
Von ihren zahlreichen Besuchen im Kaiserpalast kannte Anna Nikephoros’ Tagesablauf recht genau, denn sie hatte die meisten der Palasteunuchen zu den
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