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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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sagte ihr Führer. »Er ist gekommen, um sich das Bild anzusehen. Erlaubt Ihr?«
    Der Alte nickte. »Zeig es ihm.« Seine Stimme klang rau, als spreche er nicht oft.
    Ihr Führer trat zu einer Tür, die nur etwa drei Fuß hoch war, öffnete sie und zog nach kurzem Überlegen einen in Leinen gewickelten quadratischen Gegenstand hervor. Er nahm das Tuch ab und hielt Anna das Bild hin.
    Eine Welle der Ernüchterung erfasste sie, und sie wusste nicht, was sie denken sollte. Das Bild zeigte Kopf und Schultern einer Frau, deren Gesicht zwar deutliche Spuren des Alters aufwies, doch leuchteten ihre Augen strahlend, und ihr Gesichtsausdruck war geradezu verzückt. Ihr schlichtes Kleid hatte den Blauton, den man gewöhnlich mit der Madonna verband.
    »Ihr scheint enttäuscht zu sein«, sagte ben Ehud, der das Bild nach wie vor ruhig in Händen hielt. »Meint Ihr, dass es den Weg hierher gelohnt hat?«
    »Nein«, gab sie zurück. »An dem Gesicht ist überhaupt nichts Besonderes. Es zeigt weder Leid noch Verstehen. Ich glaube nicht, dass der Maler sie gekannt hat.«
    »Er war Arzt und kein Maler«, gab ben Ehud zu bedenken.
    »Auch ich bin Arzt und kein Maler«, hielt Anna dagegen. »Trotzdem sehe ich, dass das da nichts taugt. Sie war die Mutter Jesu, da muss in ihr etwas Bedeutenderes gewesen sein als das.«

    Er stellte das Bild auf den Boden, ging erneut zu der niedrigen Tür und zog ein weiteres Bild hervor, das ein wenig kleiner war. Er wickelte es aus und hielt es ihr hin.
    Es zeigte ebenfalls eine Frau, deren Gesicht von Alter und Kummer gezeichnet war, aber an ihren Augen war zu erkennen, dass sie Dinge gesehen hatte, die über den menschlichen Schmerz hinausreichten. Sie hatte das Herrlichste und das Schlimmste erlebt und ruhte in einem inneren Frieden, den anzudeuten dem Maler gelungen war, auch wenn ihm schließlich klargeworden sein musste, dass er mit seinen Pinselstrichen unmöglich die Unendlichkeit einfangen konnte.
    Ben Ehud sah sie aufmerksam an. »Und wollt Ihr das hier?«
    »Ja.«
    Er wickelte das Bild sorgfältig wieder ein, nahm ein größeres Stück Leinen zur Hand und schlug es darin ein. Er würdigte das erste Bild, das er ihr gezeigt hatte, keines Blicks – es hatte seine Aufgabe erfüllt.
    »Ich weiß nicht, ob Ihr Euch das hier erhofft habt«, sagte er.
    »Wir werden glauben, dass es das ist«, gab sie zurück. »Das ist ebenso gut.«
    Nachdem sie ben Ehud bezahlt hatte, kehrte sie zur Herberge zurück. Dabei hielt sie das Bild gut unter ihrem Umschlagtuch verborgen.
    Sie hatte nicht mehr weit zu gehen, als sie merkte, dass man ihr folgte. Sie griff nach ihrem Dolch, fühlte sich dabei aber nicht besonders wohl. Sie hatte ihn nie für etwas anderes als zum Schneiden von Speisen oder in Fällen von Erster Hilfe benutzt.
    Sie beschleunigte den Schritt und zwang sich, die in ihr
aufsteigende Furcht zu unterdrücken. Im selben Augenblick, da sie den Eingang zur Herberge erreichte, näherte sich Giuliano aus der Gegenrichtung. Er erkannte die Angst auf ihrem Gesicht, vielleicht aber auch die Hast, mit der sie sich bewegte.
    Er fasste sie an beiden Armen und zog sie die Stufen empor in den tiefen Schatten des Torbogens. Drei Männer in grauen Gewändern, deren Gesichter hinter Tüchern verborgen waren, eilten an ihnen vorüber einem offenen Platz entgegen. Einer hielt einen Krummdolch in der Hand.
    »Ich hab es!«, stieß sie keuchend hervor, als sie sich in Giulianos Zimmer befanden und die Tür verriegelt war. »Es ist herrlich. Ich denke, dass es echt ist, aber darauf kommt es nicht an. Es ist das Gesicht einer Frau, die von Gott etwas gesehen hat, was wir Übrigen uns nur erhoffen können.«
    »Und was ist mit Euren Fragen zum Sinai?«, wollte Giuliano wissen. »Hatten die auch mit dem Gemälde zu tun?«
    Anna war verblüfft. Sie glaubte sich unauffällig danach erkundigt zu haben, aber irgendwie hatte er es wohl mitbekommen.
    »Nein, das ist meine eigene Suche.« Während sie das sagte, ging ihr auf, dass sie damit eine Tür geöffnet hatte, die sie nicht wieder würde schließen können. »Es hat nichts mit Zoe zu tun.«
    »Aber sie weiß davon«, beharrte er. »Nur deshalb hat sie wohl erreicht, dass Ihr hergekommen seid.« Er musste es erraten haben. Sein Gesicht zeigte ihr, dass er gekränkt war, weil sie ihm nicht vertraut hatte.
    »Ja«, antwortete sie, ohne zu zögern. Jetzt gab es keine andere Möglichkeit, als es ihm zu sagen. »Man hat einen
meiner Verwandten wegen eines Verbrechens

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