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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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»Wollt Ihr nicht nach Süden?« Sie wies hinter sich. »Das Jaffa-Tor liegt dort. Vor uns liegt das Herodes-Tor. Ganz in der Nähe gibt es gleich neben der Stefanskirche eine Pilgerherberge. Dort könnte ich über Nacht bleiben und mich vor Tagesanbruch auf den Weg machen.«
    »Ich begleite Euch«, sagte er rasch.
    »Nein. Nehmt das Bild und geht damit nach Jaffa. Ich bleibe bis morgen hier, dann lege ich erneut das graue Pilgerkleid an.« Sie sah flüchtig zu ihm hin und wandte sich dann gleich wieder ab. Hinter ihm hatte sie die Flanke eines Hügels gesehen, mit Löchern darin, die auf den ersten Blick aussahen wie die Augenhöhlen und Nasenöffnungen eines riesigen Totenschädels. Ein Schauer überlief sie.

    »Was habt Ihr?«, fragte er und fuhr herum, um in dieselbe Richtung zu blicken wie sie. »Da ist niemand.«
    »Ich weiß. Es war …« Ihre Stimme verlor sich.
    Er trat näher zu ihr und legte ihr die Hand auf den Arm. »Wisst Ihr, wo wir sind?«, fragte er leise.
    »Nein …« Noch während sie das sagte, begriff sie. »Doch, vor Golgatha, der Stelle der Kreuzigung.«
    »Zwar vermuten manche diese ›Schädelstätte‹ innerhalb der Stadtmauern, aber eigentlich ist es unerheblich, wo sie sich befindet. Mir scheint sie besser hierher zu passen, wo Himmel und Erde gleich trostlos wirken.«
    »Glaubt Ihr, dass wir alle eines Tages an eine solche Stätte kommen?«, fragte sie.
    »Vielleicht, irgendwann einmal«, gab er zurück.
    Sie blieb noch eine Weile in Gedanken verloren stehen. Dann wandte sie sich ihm zu. »Ich muss zum Sinai, und Ihr müsst auf das Schiff. In fünfunddreißig Tagen oder möglichst bald danach sehen wir uns in Akko wieder.« Es fiel ihr schwer, mit ruhiger Stimme zu sprechen, ihre Empfindungen zu beherrschen. Sie richtete den Blick auf den Sack mit seiner Kleidung und dem Bild. »Ich danke Euch.« Mit einem flüchtigen Lächeln wandte sie sich ab und ging den steilen Hang empor. Oben angekommen, drehte sie sich noch einmal um und sah, dass er immer noch dort stand und ihr nachsah. Sie atmete tief ein, schluckte und machte sich auf den Weg.

KAPİTEL 61
    Giuliano sah der schmächtigen einsamen Gestalt nach, bis sie in der Ferne verschwunden war. Dann wandte er sich nach Südwesten. Ob sie wirklich an der wahren Schädelstätte gestanden hatten? Die Trostlosigkeit des Ortes war ihm in die Glieder gefahren und hatte ihn betäubt. Warum hast Du mich verlassen? Es war der Schrei einer jeden menschlichen Seele im Angesicht der Verzweiflung.
    Warum hatte es ihn so sehr verwirrt, Anastasios in Frauenkleidern zu sehen? Nicht nur hatte er darin ganz natürlich gewirkt, er war auch anders gegangen als sonst und hatte sogar, so schien es ihm, den Kopf anders gehalten. Alles an ihm hatte sich verändert. Er war nicht mehr der Freund gewesen, den er so gut gekannt hatte – oder von dem er gedacht hatte, ihn gut zu kennen. An manchen Tagen hatte er ganz vergessen, dass Anastasios Eunuch war. Seine Geschlechtszugehörigkeit war unwichtig. Wichtig waren allein sein Mut, seine Herzensgüte, die Schärfe seines Verstandes, seine weit ausgreifende Vorstellungskraft. Sie machten ihn zu dem, was er war.
    Jetzt aber war in bestürzender Weise deutlich geworden, dass Anastasios einem dritten Geschlecht angehörte, nicht Mann und nicht Frau. Er schien zwischen diesen Rollen hin- und herwechseln zu können, zu changieren wie schimmernde Seide im Licht, beinahe, als gebe es nichts, was ihn von Natur aus definierte.
    Aber es war noch schlimmer, ging tiefer, denn etwas in seinem eigenen Inneren beunruhigte Giuliano. In Frauenkleidern war ihm Anastasios von geradezu berückender Schönheit erschienen. Obwohl er wusste, dass er, wenn schon kein richtiger Mann, zumindest als solcher zur Welt
gekommen war, hatte er ihm gegenüber einen kurzen Augenblick so empfunden, als sei er eine Frau, hatte das Gefühl gehabt, ihn beschützen zu müssen, und war sich gleichzeitig einer geschlechtlichen Verlockung bewusst geworden.
    Giuliano war erleichtert, dass er jetzt nach Jaffa musste und keine Rede davon sein konnte, dass er mit zum Sinai zog.
    Doch kaum war der so verletzlich scheinende Anastasios gegangen, als Giuliano eine sonderbare Einsamkeit empfand. Auch wenn er schon bald wieder von Menschen umgeben sein würde, gab es doch niemanden, mit dem er über das sprechen konnte, was ihn bedrückte, das schlechte Gewissen, das er hatte, weil er Anastasios nicht die Art von Freundschaft erwiesen hatte, die er brauchte und

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