Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
Glaube weniger stark ist, als er sein sollte, geht das ausschließlich mich etwas an. Jetzt verlasst bitte mein Haus, bevor Leonikos zurückkehrt. Ich möchte nicht, dass er annimmt, ich hätte Euch vertrauliche Mitteilungen gemacht.«
»Liegt Euch so sehr an der Liebe der Menschen, dass Ihr bereit seid, dafür Gottes Liebe fahren zu lassen?«, fragte er voll Mitgefühl.
»Einen Menschen kann ich lieben«, sagte sie. »Aber nicht ein Prinzip, an das sich die Leute nur dann halten, wenn es ihnen gerade passt. Was Ihr predigt, ist ein Gemenge aus Märchen, Sakramenten und Vorschriften, die sich ändern, je nachdem, wie es Euch richtig erscheint. Leonikos ist ein Mensch, möglicherweise nicht vollkommen, wie Ihr sagt. Er ist nicht einmal unbedingt treu, aber er ist wirklich. Er spricht mit mir, antwortet mir, lächelt, wenn er mich sieht, und gelegentlich braucht er mich sogar.«
Er fügte sich in das Unvermeidliche. »Ihr werdet es Euch eines Tages anders überlegen, Theodosia. Dann wird die Kirche da sein und bereit zu vergeben.«
»Geht bitte«, sagte sie. »Eure Liebe zu Gott ist nicht größer als meine. Ihr liebt Euer Amt, Eure Prunkgewänder, Eure Machtfülle, die Sicherheit, die es bedeutet, nicht
selbst denken oder Euch der Tatsache stellen zu müssen, dass Ihr allein seid, aber Ihr selbst bedeutet nicht das Geringste – genau wie wir anderen auch.«
Er sah sie verblüfft an. Ein Schauer überlief ihn angesichts ihrer Verzweiflung, als stünde er in eiskaltem Wasser, das ihm von den Füßen zu den Knien und über die Oberschenkel bis dorthin emporstieg, wo man ihn verstümmelt hatte. Hatte sie Recht mit ihrer Behauptung, dass er die Kirche und nicht Gott liebte? Ging es ihm wirklich um die weltliche Ordnung und die Illusion von Macht statt um die inbrünstige, unverbrüchliche und unendliche Liebe zu Gott?
Nicht bereit, darüber nachzudenken, schob er all das von sich, machte auf dem Absatz kehrt und ging hinaus.
»Ich habe Theodosia die Buße angeboten«, sagte er später zu Anastasios. »Sie wollte nichts davon wissen, aber ich musste es zumindest versuchen.« Er sah zu ihm hin und suchte in seinen Augen nach der Achtung, die dort erkennbar sein müsste, nach der Anerkennung seiner Geduld und Ehrenhaftigkeit, sah aber dort nichts als Verachtung. Man hätte glauben können, Anastasios halte alles, was er gesagt hatte, für Ausflüchte. Es entsetzte ihn zu spüren, wie sehr ihn das schmerzte.
»Euer Hochmut ist Gotteslästerung!«, schrie er in einem plötzlichen Wutanfall auf. »Ihr kennt keine Demut. Ihr wollt, dass Theodosia Buße tut, aber Eure eigenen Sünden beichtet Ihr nicht. Kommt wieder, wenn Ihr bereit seid, auf Knien um Vergebung zu flehen!«
Mit bleichem Gesicht ging Anastasios davon. Der Bischof sah ihm nach, hätte gern noch mehr gesagt, doch fielen ihm keine Worte ein, die so verletzend und scharf gewesen wären, dass sie ihn tief im Herzen hätten treffen können.
Anna war schmerzlich enttäuscht. Einst hatte sie in Bischof Konstantinos so viel Gutes gesehen, vielleicht, weil sie das gebraucht hatte. Jetzt war ihr der Zugang zu den Sakramenten der Kirche versperrt, weil sie nicht mehr den nötigen Glauben hatte, ihnen nicht mehr traute. Wie auch? Damit, dass der Bischof Theodosia eine so bedeutungslose Vergebung angeboten hatte, war für sie selbst jede Möglichkeit dahingeschwunden, von ihrer Sünde losgesprochen zu werden.
Sie konnte sich nur noch auf ihr eigenes Gottesverständnis stützen, die Flamme des Glaubens in der Finsternis suchen, die Wärme, die sich um ihr Herz legte, wenn sie allein vor Ihm kniete.
Vielleicht musste es so sein. Wer niemanden an seiner Seite wusste, richtete den Blick nach oben. Erst in der Dunkelheit erwies sich der Wert des Lichts. Sie musste es hinnehmen, dass sie allein war, sich nicht nach der Unterstützung oder Verzeihung durch andere umsehen konnte, musste mit allen geistigen und seelischen Kräften darauf hinarbeiten, diese Vergebung selbst zu finden.
KAPİTEL 82
Unruhig schritt Zoe in ihrem großen Empfangsraum auf und ab. Jedes Mal, wenn sie sich umwandte, sah sie das große Kreuz, auf dessen Rückseite nur noch ein Name in ihrem Herzen brannte: Dandolo, der wichtigste von allen. Unbedingt musste sie, bevor die Kreuzfahrer erneut kamen und es zu spät war, eine Möglichkeit finden, sich an ihm und seiner Nachkommenschaft zu rächen, an Giuliano.
Das Jahr 1280 neigte sich rasch seinem Ende entgegen, und schon bald würden sie da sein,
Weitere Kostenlose Bücher