Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
nicht wieder vollständig beherrschte. »Dann wird mich mein Arzt kurieren … wie beim vorigen Mal«, hielt sie ihm entgegen. »Ihr habt die Macht zu zerstören, und er hat die Macht zu heilen. Bedenkt es wohl, Bischof! Wen von Euch beiden macht das bedeutender?«
Er sprang vor und griff nach dem nächstbesten Kissen auf einem Sessel, warf sich über sie und drückte es ihr auf das Gesicht. Sie wehrte sich, schlug und trat um sich. Doch er wog mehr als doppelt so viel wie sie und hielt sie nieder, so dass sie keine Luft mehr bekam. Nach einer ganzen Weile hörten ihre Gliedmaßen auf zu zucken. Seine Wut legte sich, und er merkte, dass kalter Schweiß seinen ganzen Körper bedeckte. Langsam erhob er sich und senkte den Blick zum Boden, wo Zoe mit weit auf die Oberschenkel emporgerutschter Tunika lag. So würde er sie in Erinnerung behalten: vernichtet, ohne Würde und in ihrer Sinnlichkeit zugleich erregend und abstoßend.
Mit kaum bezähmbarem Abscheu ordnete er ihr die Haare um das Gesicht herum. Sie waren so weich, dass er sie kaum spürte. Als er mit seinen Fingerknöcheln ihre Wange berührte, merkte er, dass die Haut noch warm war.
Er erschauerte. Wie ekelhaft! Am liebsten hätte er sie geschlagen, einen der riesigen Wandteppiche heruntergerissen und über sie geworfen.
Aber natürlich durfte er nichts dergleichen tun. Er war Bischof und gekommen, einen reuigen Sünder auf dem Sterbelager zu trösten. Er zog ihre Tunika so weit nach unten, wie es ging.
Am ganzen Leibe zitternd, richtete er sich auf, wartete noch eine Weile, bis er sich beruhigt hatte, und ging dann an die Tür. Als er sie öffnete, wäre er beinahe mit Anastasios zusammengestoßen, der unmittelbar dahinterstand.
Er sah dem Arzt in die Augen. »Zoe Chrysaphes hat all ihre Verfehlungen bereut und ihre Seele gerettet. Wir müssen uns darüber freuen, dass sie als getreue Tochter der wahren Kirche ins Jenseits eingegangen ist.« Er holte tief Luft. »Wir werden sie in der Hagia Sophia beisetzen, und
ich werde selbst die Totenmesse lesen.« Er zwang sich zu einem Lächeln, bekreuzigte sich und schritt an Anastasios vorüber, mit geballten Fäusten und dem Frohlocken des Sieges im Herzen.
KAPİTEL 90
Anna ging wortlos zu Zoe hinein und sah auf sie hinab. Das Gesicht war blau angelaufen, an der Lippe war dort, wo sie daraufgebissen hatte, Blut ausgetreten. Sie kniete sich neben sie, schob ihr eine Strähne aus der Stirn und hob sacht ein Augenlid. Als sie die winzigen roten Punkte auf dem Augapfel sah, wusste sie, was geschehen war. Sie erhob sich langsam und sagte zu Thomais, die inzwischen herbeigekommen war: »Bahrt sie auf und schmückt sie.« Ihre Stimme versagte. Nicht nur Zoe war tot, sondern auch Bischof Konstantinos, und das auf weit entsetzlichere Weise.
Sie verließ das Haus. Der Wind hatte aufgefrischt und brachte Regen mit sich. Sie ging allein zu Helena, um ihr die Nachricht zu überbringen. Diese Aufgabe, die ihr zuwider war, musste sie möglichst rasch hinter sich bringen. Immer stärker bedrückte sie, was Bischof Konstantinos gesagt hatte. Er würde öffentlich behaupten, Zoe habe alles widerrufen, was sie zur Unterstützung der Union mit Rom getan und gesagt hatte, und sei als treue Tochter der Kirche dahingeschieden.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Helena kam. Die Diener hatten Anna erst eingelassen, als sie ihnen den Grund ihres Kommens gesagt hatte, und auch nur deshalb, weil keiner
von ihnen der Herrin Zoes Tod mitteilen wollte. Anna wartete, dankbar für Wein und Brot, die man ihr hingestellt hatte. Sie war inzwischen vollständig durchgefroren, und ihre Augen brannten vor Müdigkeit und Kummer.
Helena kam herein, und Anna erhob sich.
»Was in Gottes Namen habt Ihr mir zu sagen, was nicht bis morgen warten könnte?«, fragte Helena gereizt.
»Ich bedaure zutiefst, Euch mitteilen zu müssen, dass Eure Mutter nicht mehr lebt«, sagte Anna.
Ungläubig fragte Helena: »Sie ist tot?«
»Ja.«
»Tatsächlich? Endlich!« Helena richtete sich auf und hob den Kopf ein wenig höher. Man hätte es für einen Hinweis auf Mut und Würde im Angesicht des erlittenen Verlusts halten können, dass sich ein leichtes Lächeln auf ihre Züge legte, doch kam Anna der hässliche Verdacht, dass es Helenas Triumph verbergen sollte.
Sie spürte, wie sich die Tränen der Trauer um Zoe hinter ihren Lidern stauten. Mit ihr war ein Teil des echten Byzanz entschwunden. Dabei ging es nicht nur um eine vergangene Epoche, sondern auch um
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