Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
Beziehung aber bestand zwischen ihr und diesem Ioustinianos? War er etwa ihr Ehemann? Dann wäre sie auch eine Laskaris und damit, zumindest durch Heirat, Angehörige einer der Kaiserfamilien, die danach trachteten, sich an den Palaiologen zu rächen.
Auf keinen Fall durfte Vicenze erfahren, dass sich Palombara für Anna Zarides interessierte. Er würde jede Gelegenheit willkommen heißen, ihm die Vertauschung der Ikone gegen das Aktbild auf grausame Weise heimzuzahlen.
Also forschte er so unauffällig wie möglich nach, wobei er jedem, den er in diesem Zusammenhang ansprach, den Eindruck vermittelte, er frage aus müßiger Neugier.
Als er Anna drei Tage später in ihrem Haus aufsuchte, sah er, dass sie erschöpft wirkte. Sie war blasser als sonst, und um ihre Augen zeigten sich feine Linien. Vermutlich war ihr die in der Stadt herrschende Angst deutlicher bewusst als ihm. Den Menschen war nur allzu klar, wie wenig Zeit ihnen bis zum Ende blieb.
»Was kann ich für Euch tun, Ehrwürdigste Exzellenz?«, fragte sie und musterte ihn aufmerksam. Sie sah sogleich, dass er keinerlei Merkmale einer Krankheit aufwies.
»Ich habe mit großer Bestürzung von Zoe Chrysaphes’ Tod erfahren«, sagte er. Bei diesen Worten sah er in ihren Augen eine tiefere Trauer, als er erwartet hatte, was ihn angenehm berührte. »Ich habe Helena Komnena aufgesucht, um ihr mein Beileid auszusprechen.«
»Das war sehr freundlich von Euch«, gab sie zurück. »Und wie wirkt sich das auf Eure Gesundheit aus?«
»Nicht im Geringsten.« Er sah sie nach wie vor unverwandt an. »Sie hat mir gesagt, dass sie in den Dokumenten ihrer Mutter etwas … Erstaunliches entdeckt habe. Dabei handelt es sich um eine Information, von der ich befürchte, dass sie sie zu ihrem Vorteil nutzen wird, wenn man sie nicht daran hindert.«
Ganz offensichtlich hatte Anna keine Vorstellung, wovon er sprach. Zwar war ihm zuwider, was er jetzt tun musste, doch blieb ihm angesichts ihrer Unwissenheit keine Wahl, als zu handeln.
»Ist Ioustinianos Laskaris Euer Mann oder Euer Bruder? «, fragte er geradeheraus.
Sie stand reglos da. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Zuerst war in ihren Augen nichts zu sehen, als sei sie zu benommen, um zu reagieren; dann erkannte er darin eine Angst, die so tief ging, dass sie ihr ganzes Wesen zu erfassen schien.
»Mein Bruder«, sagte sie schließlich. »Wir sind Zwillinge. «
»Ich bin nicht gekommen, um Euch zu drohen, sondern um Euch zu warnen«, sagte er freundlich. »Vielleicht solltet Ihr besser die Stadt verlassen.«
Ein trübseliges Lächeln trat auf ihr Gesicht. »Sicher wird es für einen Arzt genug Arbeit geben, wenn sie fällt«, sagte sie mit erstickter Stimme.
»Helena hasst Euch«, gab er zu bedenken. »Sie hat sich seit dem Tod ihrer Mutter verändert. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass sie sich dadurch befreit fühlt. Ich bin überzeugt, dass sie etwas im Schilde führt. Wenn sie Zugang zu Zoes Dokumenten hat, hat sie vielleicht sogar
Schritte unternommen, um den Aufstand gegen den Grafen von Anjou im Westen finanziell zu unterstützen.« Hatte er zu viel gesagt?
Anna lächelte. »Ich bin überzeugt, dass sie etwas im Schilde führt«, gab sie ihm mit Bitterkeit in der Stimme Recht.
»Dann geht fort, solange es noch möglich ist!«, drängte er.
»Ich als Byzantinerin sollte fliehen, während Ihr, ein Legat des Papstes, bleibt?«, fragte sie.
Er erwiderte nichts. Vielleicht gab es darauf keine Antwort.
KAPİTEL 92
Bischof Konstantinos war verzweifelt. Es war jetzt drei Wochen her, dass er Zoe Chrysaphes getötet und sie einige Tage darauf in der Hagia Sophia anlässlich der Totenmesse gleich einer Heiligen gewürdigt hatte.
Sein anfängliches Triumphgefühl war verflogen. Inzwischen fühlte er sich einsam und wurde Nacht für Nacht von Alpträumen heimgesucht. Trotz all seines Fastens und Betens kamen sie immer wieder. Natürlich hatte Gottes Hand Zoe getötet; er war nichts als sein Werkzeug gewesen. Doch suchte Zoe ihn nach wie vor in seinen Träumen heim. Sie lag, eine üppige, vollbusige Frau, mit gespreizten Schenkeln auf dem Rücken, als wolle sie seine Unmännlichkeit verspotten. Es war eine obszöne Demütigung, doch konnte er den Blick nicht abwenden.
Alles entglitt ihm. Der Kaiser hatte sein Volk verraten, indem er Byzanz an Rom verkauft hatte, und zu allem
Überfluss so öffentlich, dass es kaum jemandem in Konstantinopel verborgen geblieben war.
Jetzt war die Zeit für ein
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