Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
mit Anna vorging, begriff aber deren Ursache nicht und sagte mit kaum wahrnehmbarem Achselzucken: »Das war nicht das erste Mal. Ein Jahr vor seinem Tod hat man ihn auf offener Straße überfallen. Wir haben nie erfahren, ob man ihn berauben wollte oder ob ihn einer seiner Leibwächter unter Ausnutzung der Situation zu erstechen versucht hat, ohne dass ihm das gelang. Er hatte nur eine Schnittwunde, allerdings war sie ziemlich tief.«
» Welchen Grund hätte sein Leibwächter zu einem solchen Verhalten gehabt?«, fragte Anna.
»Was weiß ich«, gab Zoe zurück und erkannte an Annas Gesichtsausdruck sogleich, dass das ein Fehler gewesen war. Zoe war ein Mensch, der immer Bescheid wusste und Unwissenheit nie zugab. Um die Scharte auszuwetzen, ging sie zum Angriff über. »Das war, bevor Ihr in die Stadt gekommen seid«, sagte sie. » Warum wollt Ihr das alles wissen?«
»Ich möchte Freunde und Feinde kennenlernen«, gab Anna zurück. »Bessarions Tod scheint nach wie vor viele Menschen zu beschäftigen.«
»Kein Wunder«, sagte Zoe schroff. »Er stammte aus einer der alten Kaiserfamilien und stand an der Spitze derer, die sich gegen die Union mit Rom aussprachen. Viele Menschen hatten ihre Hoffnungen auf ihn gesetzt.«
»Und auf wen setzen sie sie jetzt?«, fragte Anna – zu rasch.
Mit einem angedeuteten Grinsen sagte Zoe: »Ihr haltet ihn wohl für eine Art Märtyrer oder nehmt an, dass es ihm um einen Heiligenschein zu tun war?«
Anna stieg die Röte in die Wangen. Sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie mit ihren Worten eine solche Antwort herausgefordert hatte. »Ich möchte zu meiner eigenen Sicherheit wissen, wer auf welcher Seite steht.«
»Das ist ausgesprochen weise«, sagte Zoe leise mit einem Unterton von Billigung in der Stimme, auch wenn sie das amüsant zu finden schien. »Sofern Euch das gelingen sollte, wäret Ihr klüger als jeder andere in ganz Byzanz.«
KAPİTEL 8
Nachdem Anastasios gegangen war, blieb Zoe eine ganze Weile am Fenster stehen. Sie wurde des Ausblicks, den sie von dort hatte, nie müde. Über das glänzende Meer, das sie vor sich sah, war einst Jason mit seinen Argonauten auf der Suche nach dem Goldenen Vlies gefahren. Dabei war er Medea begegnet, die sich an ihm später grausam für den an ihr begangenen Betrug gerächt hatte. Das konnte Zoe sehr
gut verstehen, stand sie doch kurz davor, Rache an der Familie Kantakouzenos zu nehmen. Kosmas war genauso alt wie sie. Um seine Haut zu retten, hatte sein Vater, Andreas Kantakouzenos, den Kreuzfahrern verraten, wo sie das Gefäß mit dem Blut Christi finden konnten. Andreas war tot und damit Zoes Rache entzogen. Sie konnte nur hoffen, dass Gott ihn für seine Schandtat in der Hölle brennen ließ. Aber Kosmas lebte; ihm ging es gut, er war wieder in Konstantinopel und hatte viel zu verlieren. Sie behielt ihn im Auge, etwa so, wie man reifende Früchte beobachtet, unmittelbar, bevor man sie pflückt.
Ihr Blick wanderte zum Tisch, auf dem eine goldene Schale mit Aprikosen stand, die im Licht der Sonnenstrahlen wie flüssiger Bernstein aussahen. Sie nahm eine heraus und biss so kräftig hinein, dass ihr der Saft über das Kinn lief.
Euphrosynes Großvater Georgios Doukas war nicht nur am Diebstahl von Ikonen aus der Hagia Sophia, der Mutterkirche von Byzanz, beteiligt gewesen; er hatte die Kreuzfahrer sogar noch dabei unterstützt, dass sie das Leichentuch Christi an sich brachten. Es war unverzeihlich, dass es jetzt für den orthodoxen Glauben verloren war und die unwürdigen Lateiner es in Händen hatten. Bei dieser Vorstellung zitterte Zoe von Kopf bis Fuß, als habe etwas Ekelhaftes sie in unzüchtiger Weise berührt.
Ein wahres Glück, dass Euphrosyne das Hautleiden bekommen hatte, gegen das ihr eigener Arzt machtlos gewesen war. Das hatte Zoe eine Gelegenheit gegeben, ihr den Eunuchen zu schicken, der seinerseits dafür sorgen würde, dass Kosmas ihr Vertrauen schenkte.
Sie nahm eine weitere Aprikose; sie war nicht so reif wie die erste, etwa so wie Anastasios, ging ihr unwillkürlich
durch den Sinn. Sein Scharfblick bei der Beurteilung Euphrosynes hatte sie überrascht. Natürlich stimmte haargenau, was er über sie gesagt hatte, doch Zoe hatte angenommen, er werde um den heißen Brei herumreden. Doch dass sie Anastasios gut leiden konnte, durfte ihren Racheplänen auf keinen Fall im Wege stehen. Sofern er ihr nützen konnte, war das alles, worauf es ankam.
Außerdem hatte sie an ihm eine Schwäche entdeckt, die
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