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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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gewesen. Unterwegs sah sie zerbrochene Kirchenfenster, die niemand ersetzt hatte, und Unkraut wucherte überall dort, wo Steine fehlten.
    Selbst der Palast wies Beschädigungen auf. Einige der herrlichen Bögen der Fenster im Obergeschoss waren zerstört,
und jederzeit konnten Mauersteine auf die große Freitreppe herabfallen.
    Mit einem angedeuteten Neigen des Kopfes rauschte sie an den Warägern der kaiserlichen Wache vorüber. Sie hielten sie nicht auf; zweifellos hatte man sie von ihrem Kommen in Kenntnis gesetzt.
    Die alten Tage kamen ihr in Erinnerung, die Zeit vor dem Überfall durch die Lateiner, in denen ihr Vater sie als kleines Mädchen zum alten Kaiserpalast hoch oben auf dem Hügel mitgenommen hatte, von wo aus der Blick auf die ganze Stadt und auf das Meer fiel. Damals hatte Alexios V. über Byzanz geherrscht, für sie zu jener Zeit gleichbedeutend mit der Welt.
    Sie wartete in einem riesigen Saal, durch dessen hohe Fenster das Licht hereinfiel und seine vollkommenen Proportionen betonte. Die Wände bestanden aus rosa Marmor und der Fußboden aus Porphyr. Die Fackelhalter waren hoch, schmal und vergoldet. Diese Umgebung gefiel ihr ausnehmend, und sie sah sich bewundernd um, bis man nach ihr schickte.
    Ein hochgewachsener Eunuch mit weichen Zügen und müden Augen führte sie durch Säle und Gänge. Die Art, wie er mit den Händen herumfuchtelte, ging ihr auf die Nerven. Er brachte sie zu den Privatgemächern des Kaisers. Allem Anschein nach ging es um Dinge, die niemand mit anhören sollte. Selbst die allgegenwärtigen Waräger standen außer Hörweite. Manche hatten blonde Haare und blaue Augen, kamen aus Gott weiß welchen fernen Ländern.
    Das Gemach, in das man sie geführt hatte, war vollständig erneuert worden, mit herrlichen Wandgemälden, die bukolische Szenen zum Gegenstand hatten. Die hohen
Kerzenhalter aus schimmernder Bronze waren reich verziert und die wenigen verbliebenen Standbilder unbeschädigt.
    Sie begrüßte Kaiser Michael mit der gebräuchlichen Ehrerbietung. Auch wenn sie eine Dame und fünfundzwanzig Jahre älter war als er, so stand er doch als Kaiser von Byzanz auf einer Stufe mit den Aposteln. Daher erhob er sich auch nicht zu ihrer Begrüßung, sondern blieb mit leicht gespreizten Knien sitzen, auf denen die mit Brokat verzierte Seide seiner Dalmatika und das leuchtende Scharlachrot der Tunika zu sehen waren. Er war ein gut aussehender Mann von gesunder Gesichtsfarbe mit dichtem schwarzem Haar und einem ebensolchen Bart. Noch nach so langer Zeit erinnerte sich Zoe mit Genuss an die Berührung seiner Hände. Für einen Mann, der in seinen besten Jahren ein glänzender Heerführer gewesen war und nach wie vor mehr von Strategie verstand als die meisten seiner Hauptleute, waren sie überraschend feinfühlig gewesen. Im Kampf hatte man ihn stets in den vordersten Reihen gefunden, und jetzt war er eifrig bemüht, Heer und Flotte neu aufzustellen und die Instandsetzung der Mauern zu betreiben, welche die Stadt von der Seeseite aus schützten. Da er in erster Linie Praktiker war, war Zoe sicher, dass er auch von ihr etwas Praktisches erwarten würde.
    »Tritt näher«, gebot er. »Wir sind allein. Wir brauchen niemandem etwas vorzumachen.« Seine Stimme war angenehm und tief, wie es sich für einen Mann gehörte.
    Sie befolgte die Aufforderung mit langsamen Schritten. Sie dachte nicht daran, sich Freiheiten herauszunehmen und ihm damit eine Gelegenheit zu einer Zurechtweisung zu geben. Mochte er die Fragen stellen und seine Forderungen in Worte kleiden.

    »Es gibt etwas, wobei du mir behilflich sein könntest«, sagte er und sah sie aufmerksam mit forschendem Blick an. Ihm als Byzantiner reinsten Wassers entging nichts, und so war sie nie sicher, wie weit er in ihrem Gesicht zu lesen verstand. Er war scharfsinnig, verschlagen und tapfer, doch nützte ihm das gegenwärtig wenig, denn er musste eine schwere Bürde tragen und ein widerspenstiges Volk führen, dem man das Rückgrat gebrochen hatte. Seine Untertanen schienen die neue Bedrohung nicht zu sehen, vermutlich, weil sie sich ihr nicht zu stellen wagten.
    Nach Bessarions Tod hatte Zoe begonnen, die politische Lage anders einzuschätzen als zuvor. Sie war sicher, dass irgendjemand nach wie vor Verrat plante. Sofern sie dahinterkam, würde sie den dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen, und wäre es ihre eigene Tochter Helena.
    Hätte sie doch eine Gelegenheit gehabt, mit Ioustinianos zu sprechen, bevor man ihn in die

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