Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
sie sich gut merken würde – er war nicht nachtragend. Der eine oder andere der Patienten, die sie ihm vermittelt hatte, hatte ihn schlecht behandelt, doch er schien ihnen deswegen nicht zu grollen und hatte Gelegenheiten nicht genutzt, sie zu übervorteilen. Zoes Überzeugung nach war nicht Feigheit der Grund dafür, denn es hatte dabei weder eine Gefahr bestanden noch die Aussicht, auf irgendeine Weise zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wie dumm von ihm! Wer von anderen respektiert werden wollte, musste dafür sorgen, dass sie ihn fürchteten, das war einer ihrer Grundsätze. Sie selbst hätte mit Sicherheit anders gehandelt. Sie würde ihre schützende Hand über Anastasios halten müssen, solange er ihr von Nutzen war.
Sie wandte sich ihrem Empfangsraum zu und sah auf das große goldene Kruzifix an der Wand. Sie würde dem Arzt in seinem Bestreben helfen, mehr über Bessarion in Erfahrung zu bringen. Warum nur mochte er so begierig darauf sein? Mit Sicherheit, das war ihr klar, ging es dabei in keiner Weise um den Wunsch festzustellen, wer in Konstantinopel auf wessen Seite stand.
Selbstverständlich kam es auf keinen Fall infrage, Anastasios auch nur andeutungsweise die Wahrheit zu sagen. Wie käme sie dazu, ihm mitzuteilen, dass Bessarion seine Gattin Helena tödlich gelangweilt und sich vermutlich nie
für sie interessiert hatte – jedenfalls nicht so, wie sich ein Mann für seine Frau zu interessieren pflegt?
Sie beschloss, vorerst nicht länger darüber nachzudenken, und warf mit selbstironischem Lächeln den Kopf zurück. Sie selbst hatte Bessarion einmal zu verführen versucht, einfach, weil sie sehen wollte, ob er nur Feuer in der Seele oder auch in den Lenden hatte. Am Ende hatte er sich zwar bereitgefunden, aber es war der Mühe nicht wert gewesen.
Kein Wunder also, dass sich Helena anderweitig umgesehen hatte. Es war ausgesprochen klug von ihr gewesen, Antonios erst in ihr Bett zu locken und ihn dann dazu zu benutzen, dass er Bessarion aus dem Weg räumte, womit sie sich beider entledigt hatte – falls die ganze Sache wirklich so abgelaufen war. Ein solches Vorgehen war der Tochter Zoes würdig. Es hatte zwar lange gedauert, bis Helena das gelernt hatte, aber es schien ihr schließlich doch recht gut gelungen zu sein. Nur schade, dass sie damit auch Ioustinianos in Gefahr gebracht hatte. Er war ein richtiger Mann, einer, dem eine Helena nicht gewachsen war. Falls tatsächlich sie die Schuld daran trug, dass sich die Dinge so entwickelt hatten, würde Zoe ihr das nie verzeihen.
Sie ging langsam zur Tür, wobei sie die Arme ein wenig abspreizte, damit sich die Seide ihres Gewandes bewegte und im Licht schimmerte. Der Schimmer wechselte von einem hellen Rotbraun zu Gold und wieder zurück, täuschte die Augen und beflügelte die Vorstellungskraft.
Eine Woche später ließ Kaiser Michael Zoe zu sich kommen. Er war ein Mann, mit dem ins Bett zu gehen sich gelohnt hatte. Noch nach all den Jahren tat ihr die Erinnerung gut, auch wenn er nicht der Beste von allen gewesen
war und an Grigorios Vatatzes nicht herangereicht hatte. Aber sie zwang sich, nicht an Grigorios zu denken, denn dabei kam ihr nicht nur Lust in Erinnerung, sondern auch Qual.
Anscheinend wollte Michael etwas von ihr, sonst hätte er nicht nach ihr geschickt. Sie kleidete sich sorgfältig an und entschied sich für eine Tunika in Bronze und Schwarz, die ihren Körper betonte. Mit einem hoch sitzenden Halsschmuck ließen sich die Spuren des Alters auf der Haut und unter dem Kinn verbergen. Ihre Hände waren weich. Sie wusste genau, welche Bestandteile in einer Salbe dafür sorgten, dass sie blass blieben und die Fingerknöchel nicht anschwollen. Sie trug goldgefassten Topasschmuck – nicht etwa, um ihn in Versuchung zu führen; darüber war ihre Beziehung inzwischen hinaus. Was er jetzt von ihr begehrte, waren ihre Fertigkeiten und ihre Gerissenheit, nicht ihr Fleisch.
Nach seiner Rückkehr aus dem Exil, das ihn nach Nikaia und in verschiedene Städte im Norden an der Schwarzmeerküste geführt hatte, hatte er den alten Kaiserpalast zu seiner Residenz erwählt, der am anderen Ende der Stadt gegenüber dem Blachernen-Palast lag. Von dort fiel der Blick, ganz wie aus ihrem eigenen Haus, auf das Goldene Horn. Da es bis zum Palast nur eineinhalb Meilen waren, konnte sie den Weg ohne weiteres zu Fuß zurücklegen. Begleiten ließ sie sich lediglich von Sabas, dem treuesten ihrer Diener.
Sie nahm sich Zeit, denn Eile wäre unziemlich
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