Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
wollte seinen Ohren nicht trauen. »Sie wagen es noch, nach dem, was Sie DI Insch gestern angetan haben?!«
»Laz, so ist einfach das Geschäft. Er hat Sie gelinkt, und ich hab ihn dafür ein bisschen zusammengestaucht. Hab ich auch nur ein schlechtes Wort über Sie geschrieben? Na?«
»Darum geht es nicht.«
»Ah, Loyalität. Das gefällt mir. Sehr wünschenswerte Eigenschaft bei einem Polizeibeamten.«
»Sie haben ihn wie den letzten Idioten aussehen lassen.«
»Ich mach Ihnen ein Angebot: Ich lasse eure Primadonna in Ruhe, und Sie und ich, wir unterhalten uns ein bisschen bei einem gemütlichen Frühstück, hm?«
»Das kann ich nicht machen. Ich muss alles, was ich sage, vorher von Insch absegnen lassen, verstanden?«
Wieder entstand eine Pause.
»Sie müssen aufpassen, wie weit Sie mit Ihrer Loyalität gehen, Laz. Manchmal kann sie Ihnen mehr schaden als nützen.«
»Was? Was zum Teufel soll das jetzt wieder heißen?«
»Werfen Sie doch mal einen Blick in die Morgenzeitung, Laz. Und dann überlegen Sie sich, ob es nicht doch gut für Sie wäre, einen Freund bei der Presse zu haben.«
Logan legte den Hörer zurück auf die Gabel und stand eine Weile zitternd in seinem dunklen Wohnzimmer. Undenkbar, sich jetzt einfach wieder ins Bett zu legen. Nicht, solange er nicht wusste, was Miller wieder angestellt hatte. Was in der Morgenzeitung stand.
Halb sieben. Seine eigene Zeitung würde erst in gut einer Stunde kommen. Also zog er sich rasch an und stapfte durch den knöcheltiefen Schnee die Castlegate entlang zum nächsten Zeitungsladen.
Es war ein kleines Geschäft; die Sorte, die es im Lauf der Zeit schon mit allem Möglichen probiert hatte. Regale bis unter die Decke, voll mit Büchern, Töpfen und Pfannen, Glühbirnen, Dosengemüse … Logan fand das Gesuchte auf dem Boden neben der Theke – ein dickes Bündel druckfrischer Zeitungen, zum Schutz vor Schnee und Regen in Plastikfolie eingehüllt.
Der Inhaber, ein untersetzter Mann mit grau meliertem Bart, einem Goldzahn und nur zwei Fingern an der linken Hand, brummte so etwas wie »Guten Morgen«, während er die Plastikfolie aufschlitzte. »Ach du Schande«, sagte er, nahm die oberste Zeitung vom Stapel und hielt sie so, dass Logan die Titelseite sehen konnte. »Sie haben den Dreckskerl schon beim Wickel gehabt, und sie haben ihn wieder laufen lassen. Ist das denn zu fassen?«
Vier Fotos prangten in der Mitte der Seite; sie zeigten David Reid, Peter Lumley, DI Insch und Bernard Duncan Philips. Roadkill war auf einer unscharfen Aufnahme zu sehen, wie er neben seiner Mülltonne auf der Straße stand, über eine Schaufel voller Kaninchenbrei gebeugt. Die beiden Jungen lächelten den Leser von ihren Vorschulfotos an. Insch war in voller Märchenspiel-Montur abgebildet.
Über allem schrie die Schlagzeile: » Horrorhaus: Totes Mädchen in Haufen verwesender Tiere gefunden! «, und weiter: » Killer wenige Stunden zuvor aus Polizeihaft entlassen .« Colin Miller hatte wieder zugeschlagen.
»’n Haufen unfähige Trottel sind das, wenn Sie mich fragen. Die sollten mich mal fünf Minuten mit dem Schwein allein lassen, ich sag’s Ihnen. Hab selber Enkel in dem Alter.«
Logan bezahlte seine Zeitung und verließ wortlos den Laden.
Es hatte wieder zu schneien begonnen. Dicke weiße Flocken sanken aus dem dunklen Himmel herab, aus Wolken, die im Schein der Straßenlaternen orange schimmerten. Auf der ganzen Länge der Union Street funkelte die Weihnachtsbeleuchtung, doch Logan nahm sie überhaupt nicht wahr. Er stand vor dem Zeitungsladen und las im Schein des Schaufensters.
Ein ausführlicher Hintergrundartikel breitete Roadkills Leben aus – die Schizophrenie, der zweijährige Aufenthalt in der Psychiatrie, die tote Mutter, die Kadaversammlung. Miller hatte es sogar geschafft, an ein paar der »aufgebrachten Eltern« heranzukommen, die Roadkill vor dem Tor der Grundschule attackiert hatten. Die Zitate trieften nur so vor prahlerischem Draufgängertum und selbstgerechter Entrüstung. Die Polizei hatte sie wie Kriminelle behandelt, nur weil sie diesen kranken Irren angegriffen hatten – und dabei hatte die ganze Zeit ein totes Mädchen in diesem ekelhaften Aashaufen gelegen!
Logan wand sich, als er las, dass die Polizei Roadkill bereits in Gewahrsam gehabt habe, dass aber DI Insch, der erst kürzlich auf der Bühne herumstolziert sei, während ringsum Kinder entführt, ermordet und vergewaltigt worden waren, seine Freilassung angeordnet habe. Gegen den
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