Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
wenn wir unserem Knaben einen Besuch abstatten?«, fragte Insch, als der Sergeant mit Schreiben fertig war.
»Was? Nein, Sir, gehen Sie nur rein. Leiten Sie die Ermittlungen?«
Insch strahlte wieder. »Das will ich doch schwer hoffen!«
Der Raum war klein, aber alles andere als gemütlich: brauner Linoleumboden, eine harte hölzerne Sitzbank entlang der cremefarbenen Wand. Das einzige Tageslicht kam durch zwei kleine, extra dicke Milchglasscheiben hoch oben in der Außenwand. Es roch nach Achselschweiß.
Der Zelleninsasse hatte sich auf der Bank in Embryonalstellung zusammengerollt und stöhnte leise.
»Danke, Sergeant«, sagte Insch. »Wir kommen dann schon allein klar.«
»Okay.« Der Wachhabende trat rückwärts aus der Zellentür und zwinkerte Logan zu. »Sagen Sie Bescheid, falls unser Muhammad Ali hier Ärger machen sollte.«
Die Zellentür fiel mit einem dumpfen Knall ins Schloss, worauf Insch sich neben die zusammengerollte Gestalt auf die Bank setzte. »Mr. Strichen? Oder darf ich Sie Martin nennen?«
Die Gestalt regte sich ein wenig.
»Martin? Wissen Sie, warum Sie hier sind?« Inschs Stimme war leise und freundlich. Logan hatte ihn noch nie in einem so sanften Ton mit einem Verdächtigen sprechen hören.
Langsam stemmte Martin Strichen sich hoch, bis seine Beine über die Kante der Sitzbank hingen. Seine feuchten Socken hinterließen Flecken auf dem Linoleum. Sie hatten seine Schnürsenkel, seinen Gürtel und alle anderen potenziellen Gefahrenquellen konfisziert. Er war wirklich riesig – nicht fett, aber alles an ihm war überdimensioniert: Arme, Beine, Hände, Kiefer … Logan hielt inne, als sein Blick auf das mit Aknenarben übersäte Gesicht fiel. Jetzt wusste er, wieso der Name ihm so bekannt vorgekommen war. Martin Strichen war Constable Watsons Umkleide-Wichser; der Typ, den er in die Haftanstalt von Craiginches zurückgefahren hatte. Der im Prozess gegen Gerald Cleaver als Zeuge ausgesagt hatte.
Kein Wunder, dass er dem gerissenen Sandy eins auf die Nase gegeben hatte.
»Sie haben ihn laufen lassen.« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
»Ich weiß, Martin, ich weiß. Das hätten sie nicht tun dürfen, aber sie haben es getan.«
»Wegen dem Kerl haben sie ihn laufen lassen.«
Insch nickte. »Und deshalb haben Sie Mr. Moir-Farquharson geschlagen?«
Ein gedämpftes Murmeln war die Antwort.
»Martin, ich werde eine kurze Aussage aufsetzen, und dann werde ich Sie bitten, sie zu unterschreiben, okay?«
»Sie haben ihn laufen lassen.«
Behutsam ging Insch mit Martin Strichen die Ereignisse des Nachmittags durch, wobei er seine klammheimliche Freude kaum verbergen konnte, als sie zum Moment des Kontakts zwischen Faust und Nase kamen. Er ließ Logan alles in gewundener Polizeidiktion protokollieren. Es war ein Schuldeingeständnis, doch Insch hatte sich größte Mühe gegeben, es so klingen zu lassen, als hätte Sandy die Schlange sich alles selbst zuzuschreiben. Was ja auch stimmte. Martin unterschrieb, und Insch entließ ihn aus dem Gewahrsam.
»Haben Sie überhaupt ein Dach über dem Kopf?«, fragte Logan, als sie mit ihm am Empfang vorbei zur Tür gingen.
»Ich wohne bei meiner Mutter. Das Gericht sagt, ich muss da wohnen, während ich meine gemeinnützige Arbeit ableiste.« Seine Schultern sackten noch ein paar Zentimeter tiefer.
Insch klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken. »Es regnet immer noch. Ich kann Ihnen einen Streifenwagen besorgen, der Sie nach Hause fährt.«
Martin Strichen zuckte zusammen. »Sie hat gesagt, sie bringt mich um, wenn sie noch einmal ein Polizeiauto vorm Haus stehen sieht.«
»Okay. Wenn Sie ganz sicher sind.« Insch streckte die Hand aus, und Strichen schüttelte sie. Die Hand des Inspectors verschwand ganz in seiner riesigen Pranke. »Und übrigens, Martin« – er blickte in die unruhigen haselnussbraunen Augen des jungen Mannes – »Danke.«
Logan und Insch standen am Fenster und sahen Martin Strichen nach, als er durch den Regen davonging. Erst vier Uhr nachmittags, und es wurde bereits dunkel.
»Als er im Zeugenstand war«, sagte Logan, »hat er geschworen, er würde Moir-Farquharson umbringen.«
»Wirklich?« Insch klang nachdenklich.
»Glauben Sie, er wird es versuchen?«
Ein Lächeln erhellte die Züge des Inspectors. »Wir wollen’s hoffen.«
Im Vernehmungsraum 3 lächelte niemand. Mit DI Insch, DS McRae, einer Streifenpolizistin mit nassen Klamotten und Duncan Nicholson war das kleine Zimmer zum Bersten gefüllt. Das
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