Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
Tal.
Aber heute war von alldem nichts zu sehen. Der Schneesturm war in den letzten Stunden noch heftiger geworden, und von dem Schlafzimmerfenster aus, an dem sie stand, konnte Constable Jackie Watson kaum weiter als bis zum Gartenzaun sehen. Seufzend wandte sie sich vom stürmischen, grauen Dezembernachmittag draußen ab und stapfte wieder nach unten.
Martin Strichens Mama fläzte in einem weichen Sessel mit buntem Rosen- und Mohnblumen-Bezug. In ihrem Mundwinkel glomm eine Zigarette, und den Aschenbecher, der neben ihr stand, hatte sie schon in einen wahren Kippenfriedhof verwandelt. Der Fernseher lief: eine Seifenoper. Watson hasste Seifenopern. Aber Simon »das Arschloch« Rennie liebte sie. Er saß auf der geblümten Couch und starrte gebannt auf den Bildschirm, während er eine Tasse Tee nach der anderen schlürfte.
Auf dem Couchtisch lagen die Überreste einer Packung Jaffa-Kekse, und Watson schnappte sich die beiden letzten, um sich dann direkt vor den elektrischen Heizofen zu stellen, fest entschlossen, die Kälte aus ihren Knochen zu vertreiben, und wenn dabei ihre Hose Feuer fing. Das ganze Haus war wie ein Eisschrank. Als besonderes Zugeständnis an ihre Gäste hatte Mrs. Strichen den Heizofen eingeschaltet, aber nicht ohne vorher ausgiebig zu schimpfen. Sie bekam den Strom ja auch nicht umsonst, nicht wahr. Und wie sollte sie denn über die Runden kommen, wenn der kleine Mistkerl keine Kohle mehr ranschaffte? Der Sohn von Mrs. Duncan von gegenüber, der war Drogendealer. Der brachte richtig Geld nach Hause, und die Duncans leisteten sich jedes Jahr zwei Urlaubsreisen! Sicher, jetzt musste er drei Jahre in Craiginches absitzen wegen unerlaubten Drogenbesitzes, aber der Junge gab sich wenigstens Mühe!
Als der Dampf, der von der Rückseite ihrer Hosenbeine aufstieg, allzu heiß wurde, stiefelte Watson in die Küche zurück, um aufs Neue den Wasserkocher einzuschalten. Tee, Tee und nochmals Tee, das war die einzige Möglichkeit, sich in diesem verdammten Eishaus vor dem Erfrieren zu bewahren.
Die Küche war nicht groß, bloß ein quadratischer Flecken Linoleum mit einem kleinen Tisch in der Mitte und nikotingelben Arbeitsflächen und Schränken entlang der Wände. Watson fischte drei Becher aus dem Abtropfgestell und knallte sie auf die Arbeitsplatte. Es war ihr herzlich egal, ob sie dabei Sprünge bekamen. Drei Teebeutel rein, Zucker dazu, kochendes Wasser drauf. Bloß die Milch reichte nur noch für zwei. »Mist.« Es kam überhaupt nicht in Frage, dass sie noch länger hier in dieser Affenkälte ausharrte und sich noch nicht mal mit einer Tasse Tee stärken konnte. Dann würde Constable Rennie seinen eben schwarz trinken müssen.
Sie ging ins Wohnzimmer zurück und stellte die beiden Becher auf den Couchtisch. Mrs. Strichen schnappte sich ihren ohne ein Wort des Danks. »Oh, super …«, setzte Constable Rennie an, merkte aber dann, dass in seinem Tee keine Milch war. Er schmachtete Watson mit seinem patentierten Hundeblick an.
»Vergiss es«, beschied sie ihm. »Die Milch ist alle.«
Enttäuscht betrachtete er die dunkle Flüssigkeit in seinem Becher. »Ganz sicher?«
»Kein Tropfen mehr da.«
Mrs. Strichen schoss ihnen einen finsteren Blick zu und stieß eine Rauchwolke zwischen den Zähnen hervor. »Ist jetzt bald Ruhe? Ich würd das da gerne gucken!«
Auf dem Bildschirm war ein Mann mit fetten Wangen und schütterem Bart zu sehen, der vor dem Fernseher saß und Tee trank. Constable Rennie starrte wieder in seine Tasse. »Ich könnte uns Milch holen«, erbot er sich. »Und vielleicht noch ein paar Kekse?« Da Watson schließlich die letzten Jaffa-Kekse verputzt hatte …
»Insch hat gesagt, wir sollen hier die Stellung halten«, entgegnete sie seufzend.
»Klar, aber wir wissen doch alle, dass Strichen nicht hierher zurückkommt. Es wird ja nicht lange dauern – fünf, höchstens zehn Minuten. Da war doch ein kleiner Laden gleich vorne an der Ecke …«
Diesmal ging Mrs. Strichen sogar so weit, die Zigarette aus dem Mund zu nehmen. »Könnt ihr jetzt vielleicht mal die Klappe halten?«
Sie gingen hinaus in die Diele.
»Mensch, ich bin doch in ein paar Minuten wieder hier! Und wenn er wirklich kommt, kannst du ihn immer noch k.o. schlagen! Außerdem stehen da draußen zwei Streifen, die alle Zufahrtsstraßen im Blick haben.«
»Ich weiß, ich weiß.« Sie warf einen Blick durch die offene Tür auf den flimmernden Fernseher und Martin Strichens Gift sprühende Mutter. »Ich missachte
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