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Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)

Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)

Titel: Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart MacBride
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ins Wohnzimmer bat.
    »Haben Sie ihn gefunden?« Die Frage kam von einem abgerissen wirkenden Mann in einer blauen Latzhose und Socken.
    »Nun hetz sie doch nicht, Jim, sie sind ja gerade erst gekommen«, sagte die Frau und tätschelte seinen Arm.
    »Sind Sie der Vater?«, fragte Insch, während er sich auf die Armlehne eines leuchtend blauen Sofas pflanzte.
    »Stiefvater«, antwortete der Mann und setzte sich wieder hin. »Sein Vater ist ein Schwein …«
    »Jim!«
    »’tschuldigung. Sein Vater und ich, wir können nicht so gut miteinander.«
    Logan machte sich an eine gründliche Inspektion des in fröhlichen Farben eingerichteten Zimmers und tat so, als studiere er die Fotos und den Nippes, während er in Wirklichkeit die ganze Zeit Jim, den Stiefvater, beobachtete. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ein Stiefsohn bei Mamas neuem Partner in Ungnade gefallen war. Manche Leute nahmen die Kinder ihres Lebensgefährten an, als wären es die eigenen, andere hingegen betrachteten sie als beständige Erinnerung daran, dass sie nicht die Ersten gewesen waren. Eifersucht war etwas Furchtbares. Zumal, wenn sie an einem fünfjährigen Kind ausgelassen wurde.
    Gewiss, auf jedem der Fotos an der Wand schien die dreiköpfige Familie sich großartig zu amüsieren, aber die wenigsten Leute neigten dazu, Bilder von blauen Flecken, gebrochenen Gliedmaßen oder Brandmalen von glühenden Zigaretten im Wohnzimmer aufzuhängen.
    Ganz besonders fesselte Logan eine Strandszene an irgendeinem sonnigen Urlaubsort. Alle trugen Badekleidung und grinsten in die Kamera. Die Figur der Mutter war atemberaubend, ganz besonders in einem flaschengrünen Bikini. Und das trotz der Narbe, die von einem Kaiserschnitt zu stammen schien.
    »Korfu«, erklärte Mrs. Lumley. »Jim macht jedes Jahr mit uns eine schöne Urlaubsreise. Letztes Jahr waren wir auf Korfu, diesen Sommer war es Malta. Und nächstes Jahr fliegen wir mit Peter nach Florida, damit er Mickey Mouse sehen kann …« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Peter liebt Mickey Mouse … Er … O Gott, bitte, finden Sie ihn!« Und mit diesen Worten sank sie in die Arme ihres Mannes.
    Insch warf Logan einen viel sagenden Blick zu. Logan nickte und sagte: »Wie wär’s, wenn ich für uns alle eine Kanne Tee koche? Mr. Lumley, könnten Sie mir zeigen, wo ich alles finde?«
    Fünfzehn Minuten später standen Logan und Inspector Insch im Treppenhaus des Wohnblocks und blickten durch die Eingangstür in den schräg fallenden Regen hinaus.
    »Was denken Sie?«, fragte Insch, während er seine Weingummitüte aus der Tasche kramte.
    »Der Stiefvater?«
    Insch nickte.
    »Er scheint den Kleinen wirklich zu lieben. Sie hätten ihn hören sollen, wie er davon geschwärmt hat, dass der kleine Peter mal bei den Dons spielen wird, wenn er groß ist. Ich sehe ihn eigentlich nicht als den bösen Stiefvater.«
    Der Inspector nickte wieder. Während Logan den Tee gekocht und den Stiefvater befragt hatte, war Insch im Wohnzimmer geblieben und hatte der Mutter behutsam auf den Zahn gefühlt.
    »Ich auch nicht. Der Junge hat keine Vorgeschichte mit Unfällen, rätselhaften Krankheiten oder Arztbesuchen.«
    »Wieso war er heute eigentlich nicht in der Schule?«, fragte Logan. Er nahm sich ein saures Stäbchen aus der Tüte des Inspectors.
    »Ist tyrannisiert worden. Irgendein großer, kräftiger Bursche hat ihn verprügelt, nur weil er rothaarig ist. Die Mutter behält ihn zu Hause, bis die Schule in der Sache etwas unternommen hat. Allerdings hat sie dem Stiefvater noch nichts davon erzählt. Sie fürchtet, dass er durchdrehen könnte, wenn er hört, dass jemand Peter gepiesackt hat.«
    Insch steckte sich ein Weingummi in den Mund und seufzte. »Zwei vermisste Kinder an einem Tag«, sagte er und gab sich dabei keine Mühe, die Niedergeschlagenheit in seiner Stimme zu verbergen. »Gott, ich hoffe, er ist einfach nur weggerannt. Ich habe wirklich keine Lust, noch ein totes Kind im Leichenschauhaus zu sehen.« Insch seufzte erneut, und sein massiger Leib schien in sich zusammenzusinken.
    »Wir werden sie finden«, erwiderte Logan mit einer Überzeugung, die er nicht empfand.
    »Ja, wir werden sie finden.« Der Inspector trat hinaus in den Regen, ohne zu warten, bis Logan den Schirm aufgespannt hatte. »Wir werden sie finden, aber sie werden tot sein.«

12
    Logan und Insch fuhren schweigend zum Präsidium zurück. Der Himmel über ihnen hatte sich verdunkelt, Gewitterwolken breiteten sich rasend schnell von

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