Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
Minuten vor dem Haus mit mir treffen.«
Sie wartete schon auf ihn und sah zu, wie er sich beim Einparken mit dem Dienstwagen gründlich blamierte.
Bemüht, nicht ganz so entnervt zu wirken, wie er war, ließ Logan die Kiste stehen, wo sie stand, mit einem Rad auf dem Bordstein, und knöpfte seine Jacke zu, um sich vor dem Regen zu schützen.
Die Vertrauensbeamtin war besser vorbereitet als er; sie hatte einen Schirm.
»’n Abend, Sir«, sagte sie, als er sich zu ihr unter den Schirm drängte. »Was liegt an?«
»Ich muss wissen, ob Sie irgendetwas über den Vater …«
Ein greller weißer Blitz erhellte die verregnete Nacht und ließ ihn verstummen.
»Was zum Teufel …«, stieß er hervor und fuhr herum.
Auf der anderen Straßenseite stand ein etwas gammelig aussehender BMW. Aus dem offenen Beifahrerfenster ringelte sich ein Rauchwölkchen in die kalte Nachtluft hinaus.
»Ich glaube, das ist die Daily Mail «, meinte die Polizistin mit dem Regenschirm. »Kaum tauchen Sie auf, glauben die, es ist irgendwas im Gange. Immer nur auf sie mit Gebrüll. Wenn sie sich dann noch irgendeinen Quatsch aus den Fingern saugen können, der zu dem Bild passt, können Sie sich morgen früh auf der Titelseite bewundern.«
Logan wandte dem Wagen den Rücken zu. Wenn sie unbedingt noch mehr Fotos schießen wollten, würden sie nur seinen Hinterkopf draufbekommen. »Sagen Sie«, setzte er erneut an, »haben Sie irgendwas über den Vater des Kindes gehört?«
Sie zuckte die Achseln. »Nur, dass er tot ist. Und dass er ein ziemliches Arschloch war, wenn man der Nachbarin glauben darf.«
»Inwiefern – hat er sie etwa geschlagen oder betrogen?«
»Keine Ahnung. Aber wenn man der alten Hexe so zuhört, muss er ein zweiter Hitler gewesen sein, nur nicht ganz so sympathisch.«
»Klingt ja entzückend.«
Das Einzige, was sich im Hause Erskine seit seinem ersten Besuch verändert hatte, war die Luftqualität. Die Wände waren immer noch voll mit diesen verrückten Mutter-und-Sohn-Bildern, die Tapete war immer noch grässlich, aber in der Luft hing mittlerweile dick der Zigarettenqualm.
Mrs. Erskine saß auf der Wohnzimmercouch und schaukelte unentwegt mit dem Oberkörper hin und her, offenbar außerstande, auch nur eine Sekunde still zu sitzen. In der Hand hielt sie ein großes geschliffenes Becherglas mit einer klaren Flüssigkeit, und zwischen ihren Lippen steckte eine halb aufgerauchte Zigarette. Die Wodkaflasche auf dem Couchtisch war schon zu einem beträchtlichen Teil geleert.
Ihre Freundin, die Alte von nebenan – die, die sich geweigert hatte, für die Polizei Tee zu kochen –, hockte in einem Sessel und reckte den langen, faltigen Hals, um zu sehen, wer da gekommen war. Ihre scharfen Augen funkelten, als sie ihn erkannte. Wahrscheinlich hoffte sie, dass er schlechte Nachrichten mitbrachte. Nichts ist so befriedigend fürs Ego wie das Unglück anderer Leute.
Logan setzte sich neben Mrs. Erskine auf die Couch. Sie richtete ihre trüben Augen auf ihn, wobei ein zwei Zentimeter langes Stück Asche von der Zigarette abfiel und auf ihrer Strickjacke landete.
»Er ist tot, nicht wahr? Mein kleiner Richard ist tot?« Ihre Augen waren vom Weinen und vom Wodka blutunterlaufen, ihr Gesicht verkniffen und gerötet. Sie sah aus, als sei sie in den vergangenen zehn Stunden um zehn Jahre gealtert.
Die Nachbarin beugte sich begierig vor, wartete gespannt auf den Moment der Wahrheit.
»Das wissen wir nicht«, sagte Logan. »Ich muss Ihnen nur noch einige weitere Fragen stellen, okay?«
Mrs. Erskine nickte und sog sich noch eine Ladung Nikotin und Teer in die Lungen.
»Es geht um Richards Vater.«
Sie zuckte zusammen, als hätte ihr jemand tausend Volt durch den Körper gejagt. »Er hat keinen Vater!«
»Der Mistkerl hat sich geweigert, sie zu heiraten«, ergänzte die Nachbarin genüsslich. Das war zwar nicht ganz so gut wie die Nachricht vom Tod des Kindes, aber das Ausgraben der unerfreulichen Vergangenheit war ein angemessener Ersatz. »Hat sie geschwängert, als sie fünfzehn war, und dann wollte er sie nicht heiraten. Er war ein Arschloch!«
»Ja.« Die unverheiratete Mrs. Erskine hob schwankend ihr fast geleertes Wodkaglas zu einem Toast. »Ein Arschloch.«
»Und dabei«, fuhr die Nachbarin fort, die Stimme zu einem theatralischen Flüstern gesenkt, »will er das Kind immer noch sehen. Können Sie sich das vorstellen? Weigert sich, das Kind anzuerkennen, will aber trotzdem mit ihm zum Fußballspielen in den Duthie
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